464 $ 47. Die Pflichten und Beschränkungen der Reichsbeamten.
Beamten eine Entscheidung zu fällen, namentlich also in den-
jenigen Fällen, in welchen ein Justizgerichtshof oder ein Verwaltungs-
gericht über die hinsichtlich der Zuständigkeit bestehenden Rechtsvor-
schriften mit formeller Wirksamkeit zu urteilen berufen ist, schafft
ein ergangenes Urteil formelle Gewißheit und schließt für den beauf-
tragten Beamten ebensowohl das Recht zu selbständiger Prüfung als
die Verantwortlichkeit für die Vollziehung des ihm erteilten Befehls
aus !).
3. Die selbständige Prüfung des keauftragten Beamten erstreckt
sich endlich darauf, ob die Stelle, welche ihm den Befehl erteilt hat,
dazu kompetent war. Dieser Rechtssatz beruht darauf, daß Behörden
und Beamte durch ihre Verfügungen nicht imstande sind, ihre eigene
Kompetenz zu erweitern und daß deshalb Anordnungen, welche außer-
halb dieser Kompetenz liegen, rechtlich nicht als amtliche gelten
können. Die Pflicht der Beamten, den Verfügungen der ihnen vor-
gesetzten Behörden Folge zu leisten, wird in vielen Gesetzen darauf
beschränkt, daß die Behörde den Befehl innerhalb der Grenzen ihrer
Zuständigkeit erlassen hat?), und auch in der Literatur wird diese
Schranke öfters erwähnt. Soweit aber ein Beamter einem Befehle
nachzukommen nicht verpflichtet ist, handelt er auf eigene Gefahr,
wenn er ihm dennoch nachkommt; man darf daher nicht bloß negativ
von einer Beschränkung der Gehorsamspflicht reden, d. h. daß der
Beamte durch Nichtbefolgung eines solchen Befehls kein Dienstver-
gehen verübt, sondern der Beamte trägt positiv die Verantwortlichkeit,
daß der von ihm zur Ausführung gebrachte Befehl ihm von der zu-
ständigen Behörde erteilt worden ist.
Auch hier handelt es sich aber nur um die Prüfung der formellen
oder abstrakten Zuständigkeit. Ein Erkenntnis des preußischen
OÖbertribunals vom 19. Januar 1872 führt aus):
»In dem Merkmal der Rechtmäßigkeit ist das Postulat enthalten,
daß der Befehl, um dessen Vollstreckung es sich handelt, an den unter-
geordneten Beamten von der örtlich und sachlich zuständigen Behörde
erlassen, daß Behörde oder Beamter, von dem er ausgegangen, bei
dessen Erlaß im Allgemeinen (in abstracto) innerhalb des Kreises ihrer
1) Vgl. das Erkenntnis des preuß. Obertribunals vom 1. Juni 1872
bei Oppenhoffa.a.0. Note 16. Mit der Pflicht eines Beamten, Befehlen der vor-
gesetzten Behörde nachzukommen, hat die Pflicht einer Behörde, den Requisitionen
anderer Behörden zu genügen, eine unverkennbare Analogie; zur Unterstützung der
hier entwickelten Rechtssätze können daher 8 37 und 88 des Gesetzesüber Ge-
währung der Rechtshilfe (Bundesgesetzbl. 1869, S. 313) in Bezug genommen
werden, wonach das requirierte Gericht zu prüfen hat, ob es zur Vornahme der be-
antragten Handlung kompetent sei, und eine rechtliche Entscheidung dieser Frage
von den Gerichten des Staates, welchem das ersuchte Gericht angehört, im geord-
neten Instanzenzuge herbeigeführt werden kann. Vgl. Gerichtsverf.-Ges. 8159, 160.
2) Vgl. die von Zachariä.a. a. O. angegebenen Gesetze.
3) Vgl. Goltdammers Archiv Bd. 20, S. 94; KanngießerS. 48.