$ 7. Staatenbund und Bundesstaat. 539
II. Während im einfachen Staate Land und Leute un mittelbar
der Herrschaft, den Hoheitsrechten des Staates unterworfen sind, be-
steht in dem zusammengesetzten Staat oder Staatenstaat eine doppelte
oder mehrfache) Gliederung. Land und Leute sind zunächst einer
Unterstaatsgewalt unterworfen und die Staaten einer Oberstaatsgewalt,
welche wir mit dem Ausdruck Reichsgewalt bezeichnen. Das direkte,
ıınmittelbare Objekt der als Reichsgewalt bezeichneten Herrschafts-
rechte sind die Staaten; dieselben als Einheiten, als juristische Per-
sonen des öffentlichen Rechts, sind die Mitglieder, die Untertanen des
Reichs. Die Gebiete der Gliedstaaten sind mittelbar Reichsgebiet, die
Bürger der Gliedstaaten sind mittelbar Reichsuntertanen. Das Wesen
des Reichs besteht in einer Mediatisierung der Staaten,
nicht in ihrer Unterdrückung oder Auflösung; der Gliedstaat ist nach
unten Herr, nach oben Untertan.
Es wird hierdurch nicht ausgeschlossen, daß die Reichsgewalt in
einzelnen Beziehungen ihre Hoheitsrechte direkt gegen das Reichs-
gebiet oder gegen die einzelnen Angehörigen des Reichs ausübt; daß
sie unmittelbar auf das natürliche Substrat jedes staatlichen Ge-
bildes, Land und Leute, einwirkt. Hinsichtlich bestimmter Betäti-
gungen der Reichsgewalt können die Einzelstaaten nicht bloß mediati-
siert, sondern gänzlich außer Funktion gesetzt sein, und für diese
Hoheitsrechte des Reiches sind dann nicht die Staaten, sondern die
Bürger und das Reichsgebiet die unmittelbaren Objekte. Andererseits
ist es ebensowenig erforderlich, daß die Staatsgewalt der Einzelstaaten
in allen Beziehungen mediatisiert sei, die Reichsgewalt auf allen Ge-
bieten des staatlichen Lebens Herrschaftsrechte entfalte. Es kann den
Gliedstaaten ein Kreis von Aufgaben verbleiben, von welchem sich das
Reich infolge bewußter und gewollter Selbstbeschränkung fern hält und
diesen Aufgaben entsprechend kann den Gliedstaaten ein Inbegriff von
Hoheitsrechten zustehen, hinsichtlich dessen ihre Mediatisierung tat-
sächlich nicht durchgeführt ist.
Das Wesen des zusammengesetzten Staates wird hierdurch nicht
verändert; denn das begrifflich wesentliche Merkmal des-
selben besteht lediglich darin, daß eine Mehrzahl von Staaten einer
Oberstaatsgewalt unterworfen ist').
son braucht nicht dahinter zu stehen. Vgl. auch Jellineka. a. O. S. 182 und
Unger in Iherings Jahrbüchern für die Dogmatik Bd. 22, S. 13, Note30; Borel S. 65.
._ D Mit Unrecht findet Le Fur S. 640 ff. zwischen diesen Sätzen einen logischen
Widerspruch. Er meint: Das Wesen des zusammengesetzten Staates könne nicht in
einer Mediatisierung der Einzelstaaten, d. h. in einer durch diese vermittelten
Beherrschung der Untertanen bestehen, wenn die Reichsgewalt befugt sei, gewisse
Hoheitsrechte unm ittelbar gegen Land und Leute auszuüben. Dies ist ein Irr-
tum. Die Mediatisierung besteht in der Unterordnung einer Staatsgewalt unter eine
höhere Staatsgewalt, aber nicht darin, daß die Zentralgewalt alle Hoheitsrechte
“Ausschließlich durch das Medium der Gliedstaaten ausübe. Das souveräne
Selbstbestimmungsrecht der Oberstaatsgewalt gestattet der letzteren die Wahl unter