64 8 8. Fortsetzung. Kritik entgegenstehender Ansichten.
Nur eines von beiden ist möglich und die Beantwortung der Frage
enthält zugleich die Entscheidung, wer souverän ist, die Zentralgewalt
oder der Einzelstaat').
In einer Teilung der Souveränität ist daher das Wesen des
Bundesstaates nicht zu sehen; die Souveränität steht im Staatenbund
ganz den Einzelstaaten, im Bundesstaat ganz dem Gesamtstaat zu?)
oder vielmehr, sie ist im Staatenbund eine Eigenschaft der Staats-
gewalt der Mitglieder, im Bundesstaat eine Eigenschaft der Gesamt-
staatsgewalt.
2. Von dem Grundsatz ausgehend, daß die Souveränität wesent-
lich zum Begriffe des Staates gehöre, daß also die Unterordnung
eines Staates unter eine Oberstaatsgewalt mit dem Staatsbegriff selbst
im Widerspruch stehe, hat man den Begriff des Bundesstaates (Staaten-
staates) überhaupt für einen undenkbaren erklärt?.. Wenn es mit dem
Begriffe des »Staates« nicht vereinbar ist, daß derselbe dem Herrschafts-
rechte eines anderen Subjekts unterworfen sei, so ist es allerdings
unmöglich, daß es einen Gesamtstaat oder Staatenstaat gebe, der
über Staaten herrscht; es gibt dann nur Staatenverbände vertrags-
mäßiger Natur und andererseits Einheitsstaaten mit mehr oder weniger
durchgeführter Dezentralisation. Es bedarf daher einer Prüfung, ob
die Voraussetzung, auf welcher dieser Einwand beruht, in der Tat be-
gründet ist.
Es ist unbestritten, daß es eine oberste und höchste Gewalt geben
muß, die keiner anderen irdischen Gewalt unterworfen ist, die in Wahr-
heit die potestas suprema ist. Da nun in der politischen und staats-
rechtlichen Literatur der Einheitsstaat als die einfachste und regel-
mäßige Form gewöhnlich den Erörterungen über den Staat zugrunde
gelegt und kurzweg mit dem Staate überhaupt identifiziert wird, so ist
es erklärlich, daß man regelmäßig den unabhängigen, isolierten, also
1) Vollkommen treffend sagt Hänel, Studien I, S. 149: „In der Rechtsmacht
des Staates über seine Kompetenz liegt die oberste Bedingung der Selbstgenugsanı-
keit, der Kernpunkt seiner Souveränität.“ Die Selbstbestimmung der Kompetenz (die
sogenannte Kompetenz-Kompetenz) wird als das eigentliche und wesentliche Kri-
terium der Souveränität erklärt von Liebe, Studien L,S.3l1fg.; Zorn, Staatsrecht
(2. Aufl.) L,S. 78ff. Auch Jellinek, Staatenverb. S. 294; BakeS. 156; Borel
S.3lfg.; Le Fur S. 465, 729 u. A. Vgl. jedoch Rosin, Annalen 1883, S. 272, 304.
Da Rosin aber einräumt, daß die Beschränkung der Kompetenz einer souveränen Per-
sönlichkeit durch den Willen einer anderen Persönlichkeit rechtlich unmöglich ist,
so steht er der hier vertretenen Ansicht wohl nicht sehr fern.
2) In der neuesten Staatsrechtsliteratur ist die Unteilbarkeit der Souveränität
fast allgemein anerkannt. Eine Ausnahme macht Emil Rümelin in der Tübinger
Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften Bd. 39 (1883), S. 200, ohne aber
einen neuen Gesichtspunkt beizubringen und, wie es scheint, ohne das Widersinnige
einer geteilten Souveränität zu bemerken. Vgl. über seine widerspruchsvollen Be-
hauptungen auch Gierke in Schmollers Jahrb. Bd. 7, S. 1160.
3) Insbesondere Seydel, in der Zeitschr. f. die gesamten Staatswissenschaften
1872, S. 185 ff. und in seinem Kommentar z. Reichsverf.