Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

72 & 8. Fortsetzung. Kritik entgegenstehender Ansichten. 
liche. Unwandelbar feststehend und bei jedweder Abgrenzung der 
Zwecke und Aufgaben gleichbleibend ist dagegen der Satz, daß der 
Staat das Recht hat, freien Personen mit zwingender Gewalt zu 
befehlen, die Gemeinde dagegen nicht. Der kleinste und unbe- 
deutendste Staat hat diese Rechtsmacht so gut wie der größte; der 
Gemeindeverband hat sie nicht, mag er auch an Größe und Ausdeh- 
nung für sich allein bedeutender sein als ein Dutzend von Staaten 
zusammengenommen. Dies ist demnach der feste Punkt zur be- 
grifflichen Unterscheidung zwischen Staat und Gemeinde !). 
Hieraus ergibt sich aber andererseits, daB die Souveränität 
nicht zu den wesentlichen Eigenschaften des Staates gehört. Da der 
Ausdruck »Souveränität« in verschiedenem Sinn gebraucht wird, so 
muß zur Vermeidung eines planlosen Wortstreites, der ohne Ergebnis 
bleiben muß, zunächst festgestellt werden, was darunter zu verstehen ist?), 
In dem hier zur Erörterung stehenden Begriffskreise bedeutet 
souveräne Gewalt die höchste, oberste Gewalt. Es wird also 
durch die Eigenschaft »souverän« nicht positiv ausgedrückt, welche 
Befugnisse eine Gewalt in sich schließt, sondern es wird das negative 
  
1) Ueber den wesentlichen begrifflichen Unterschied zwischen Staat und Kom- 
munalverband herrscht noch immer eine große Verschiedenheit der Ansichten, welche 
mit dem Streit über den Begriff der Souveränität eng verwebt ist. Eine kritische 
Uebersicht der wichtigsten Ansichten gibt W.Rosenberg im Arch. f.öff. R. Bd. 14, 
S. 328 ff., 1899. Für diejenigen, welche die Souveränität im echten Sinne des Wortes 
für das wesentliche Kriterium des Staatsbegriffs ansehen, ist die Lösung des Problems 
einfach; alle nicht souveränen politischen Verbände fallen alsdann unter die Kategorie 
der Kommunalverbände, auch wenn sie Staaten genannt werden. Wenn man aber 
sich der Erkenntnis nicht verschließt, daß es auch nichtsouveräne Staaten gibt, so 
entsteht die Notwendigkeit, ein anderes Merkmal als die Souveränität für den Ge- 
gensatz zwischen Staat und Gemeinde zu ermitteln. Bei allen Angriffen, welche 
gegen die von mir versuchte Lösung dieses Problems in der neuesten Literatur ge- 
richtet worden sind, wird durchweg die Hauptsache, nämlich der Begriff der recht- 
lichen Herrschaft mit Stillschweigen übergangen. 
2) Eine eingehende Untersuchung über den Begriff der Souveränität, welche 
eine vielfach treffende Kritik der verschiedenen Theorien enthält, gibt Jellinek, 
Staatenverb., S. 16ff. Seine eigene Definition aber, wonach „ausschließliche Ver- 
pflichtbarkeit durch eigenen Willen das juristische Merkmal des souveränen Staates“ 
sein soll, ist sowohl von Rosina.a. O. S. 265ff. als auch von Brie in Grünhuts 
Zeitschrift Bd. 11, S. 90 ff. als unrichtig nachgewiesen worden. Vgl. auch Borel 
S.40 ff. 85#f. Jellinek selbst hat sie nunmehr richtiger formuliert in „Gesetz und 
Verordnung“ (1887) S. 197, 200 fg. Die Dogmengeschichte des Souveränitätsbegriffs 
ist in neuester Zeit der Gegenstand eindringender Untersuchungen geworden. E. 
Hancke, Bodin. Eine Studie über den Begriff der Souveränität, Breslau 1894 und 
dazu meine Besprechung im Archiv f. öff. Recht Bd. 10, S. 109 f. Landmann, 
Der Souveränitätsbegriff bei den französischen Theoretikern von Jean Bodin bis auf 
J. J. Rousseau, Leipzig 1896. Dock, Der Souveränitätsbegriff von Bodin bis zu 
Friedrich dem Großen, Straßburg 1897. Ein reiches Material enthält das ausgezeich- 
nete Werk von Ernst Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 
3. Abt., 1. Halbband, 1898. Vgl. ferner Le Fur S.418fl.; Rehm, Allgem. Staats- 
lehre S. 40 ff. und Jellinek, Allg. Staatslehre (1905) S. 421 ff.
	        
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