80 8 8. Fortsetzung. Kritik entgegenstehender Ansichten.
Bundesstaat den Einzelstaat zur Pflichterfüllung anhalten könnte!).
Allerdings binden die Reichsgesetze nicht nur die Staaten als solche,
sondern auch deren Angehörige, ohne daß es einer Publikation der
Gesetze von seiten der Einzelstaaten bedarf. Es ist aber nicht zuzu-
geben, daß hieraus eine unmittelbare Unterordnung der Bevölkerung
unter die Reichsgewalt in der Art folgt, daß die einzelnen Individuen
auf den der Reichsgesetzgebung unterstellten Gebieten von dem
Einzelstaatemanzipiertseien. Diese Vorstellung ist wohl
im wesentlichen verschuldet durch die doktrinäre Gegenüberstellung
von Staatenbund und Bundesstaat. Im Staatenbund kann von einer
gesetzgebenden Gewalt des Vereins keine Rede sein; Gesetze können
nur die einzelnen Staaten geben; der Bund kann nur die Grundsätze
feststellen, welche die einzelnen Staaten hierbei befolgen sollen. Wenn
auch ein Bundesbeschluß als Gesetz bezeichnet wird, er ist niemals
etwas anderes als eine Vereinbarung über eine zu veranstaltende Ge-
setzgebung. Erst die Verkündigung als Landesgesetz und sie allein ist
wirkliche Gesetzgebung.
Im Bundesstaat ist der Erlaß eines Bundesgesetzes kein bloßes
Gebot an die Einzelstaaten, daß sie bestimmte Rechtsnormen erlassen
sollen, obwohl dies begrifflich wohl auch zulässig ist und tatsächlich
bisweilen geschieht, sondern in der Regel die Sanktion eines Rechts-
satzes selbst. Dieser Rechtssatz bindet nicht bloß die Staaten als solche,
sondern auch die Individuen, welche den Einzelstaaten angehören,
und zwar gerade darum, weil sie ihnen angehören. Er gilt nicht bloß
für die Staaten, sondern auch in den Staaten, weil die Staaten mit
Land und Leuten der Zentralgewalt unterworfen sind. Das Bundes-
gesetz bildet einen Teil der Rechtsordnung nicht bloß des Ganzen,
sondern auch seiner Bestandteile, nämlich der Einzelstaaten.
Ebensowenig ist der Satz, daß die einzelnen Bürger als Angehörige
der Einzelstaaten, also mittelbar, der Reichsgewalt unterworfen sind,
in dem Sinne zu verstehen, daß nicht auch die Zentralgewalt ohne
Vermittlung der Einzelstaaten durch Verordnungen, durch Verfügungen
der Bundes-(Reichs-)Behörden, durch Entscheidungen der Reichsge-
richte ihnen gegenüber wirksam werden könnte. In Beziehung auf
die Verwaltung und auf die Vollziehung der Gesetze unterscheidet sich
der Bundesstaat vom Staatenbund sehr bestimmt dadurch, daß der
letztere eine eigene Verwaltung und Gesetzesvollziehung gar nicht haben
kann, weil er eine Staatsgewalt überhaupt nicht besitzt, während der
1) Diese Bemerkung war ursprünglich (in der 1. Aufl.) gegen die Waitzsche Bun-
desstaatstheorie gerichtet; aber auch gegen die jetzt herrschende Auffassung ist zu
betonen, daß das Reich die Erzwingung des Gehorsams gegen die Reichsgesetze
regelmäßig den Einzelstaaten überläßt und die Reichsverf. eine Bundesexekution nur
gegen die Staaten, nicht gegen die Individuen kennt. Dies ist das Kriterium
der mittelbaren Beherrschung. Auch die mittelbare Beherrschung ist Staatsge-
walt, wie der mittelbare Besitz Sachherrschaft ist.