86 8& 8. Fortsetzung. Kritik entgegenstehender Ansichten.
von diesen Prämissen aus zu einer Konstruktion des Bundesstaates
gelangt, die sich innerlich widerspricht. Er sagt S. 1168:
»Es entsteht die Frage, wie diese Mehrheit von Subjekten der
staatlichen Machtsphäre im Bundesstaate zu konstruieren ist. Offenbar
kann als Subjekt der in ihrer Substanz ungeteilten Staatsgewalt nur
die Mehrheit der vorhandenen Staatspersonen in ihrer organischen
Verbundenheit aufgefaßt werden. Der Gesamtstaat und die Einzel-
staaten in ihrer Zusammengehörigkeit bilden das Subjekt, welches sonst
in einer einzigen Persönlichkeit besteht. Diese organische Gemein-
schaft ist nicht eine neue staatliche Person über ihren Komponenten,
denn es fehlt ihr an einer besonderen Organisation und an einem
eigenen Organe. Sie darf aber ebensowenig als bloße Summe für
sich stehender staatlicher Personen gedacht werden, denn nur in einer
bestimmten verfassungsmäßigen Verbundenheit, vermöge deren sie
dauernd aneinander geknüpft und voneinander abhängig sind, haben
die einzelnen staatlichen Personen an ihr Teil. Auch tritt ihr organi-
scher Charakter vor allem darin hervor, daß sie in sich gegliedert ist.
Die Stellung der Teilhaber ist keine gleiche, sondern der Gesamtstaat
als solcher ist das Haupt der Gemeinschaft.«
Die »organische Verbundenheit«, der eine Organisation und ein
eigenes Organ fehlt, — das staatsrechtliche Subjekt, welches keine staat-
liche Person und ebensowenig eine Summe von staatlichen Personen
ist, — der Gesamtstaat, welcher sich den Einzelstaaten zugesellt, um mit
ihnen zusammen das Subjekt zu bilden, welches er selbst ist, — dieser
Gesamtstaat, welcher neben den Einzelstaaten steht, für den aber
weder Gebiete noch Untertanen übrig bleiben, und der sich damit be-
gnügt, sein eigenes Haupt zu sein!) — dies alles sind keine klaren und
bestimmten Rechtsbegriffe. Man erhält die Definition: »Der Bundes-
staat ist die Vereinigung des Bundesstaates und seiner Gliedstaaten zu
einer organischen Gesamtheit ohne besondere Organisation und ohne
Organe, die weder eine neue staatliche Person, noch eine Summe für
sich stehender staatlicher Personen ist«?).. Als eine Lösung des staats-
S. 161 ff., dessen Ausführungen sehr zutreffend sind; ferner Le Fur S. 657 ff; Rehm
S. 127.
1) Mit Recht bemerkt Borel S. 162, Note 390: „Wie ist dies möglich? Der
Bundesstaat erschöpft den Begriff des Staates für das gesamte Volk und das ge-
samte Gebiet. Die Gemeinschaft kann dasselbe doch nicht überschreiten. Behaupten
daß der Gesamtstaat ihr Haupt sei, heißt behaupten, daß der Mensch das Haupt der
Gesamtheit sei, welche er mit den verschiedenen Teilen seines Körpers bildet.“
2) Vgl. BorelS. 163 und die scharfe Kritik von Preuß S.62 ff. Der Letztere
hat auf Grund Gierkescher Anschauungen eine neue Theorie entwickelt, nach welcher
die politischen Verbände als „Gebietskörperschaften“ bezeichnet werden, welche ein-
ander „eingegliedert“ sind. Alle Gebietskörperschaften seien einander gleichartig;
ein Unterschied besteht nur darin, daß Gemeinden keine „Gebietshoheit“ haben, wor-
unter Preuß die Fähigkeit versteht, sich selbst wesentlich zu verändern, bezw.
aufzulösen, während die Staaten und das Reich diese Fähigkeit haben. Da Preuß
zugleich den Begriff der Souveränität verwirft und aus seiner Konstruktion elimi-