8 54. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes. 7
Subjekt der gesetzgebenden Gewalt ist identisch mit der Frage nach
dem TIräger der Staatsgewalt.
Da in dem konstitutionellen Staate der Monarch kein Gesetz erlassen
darf, welches die Volksvertretung nicht genehmigt hat, und anderer-
seits kein Beschluß der Volksvertretung Gesetzeskraft erlangt, wenn der
Monarch demselben nicht die Sanktion erteilt, so faßte man das Wesen der
Gesetzgebung als eine Vereinbarung zwischen dem Monarchen und dem
Landtage auf. Der Willensakt der einheitlichen Staatspersönlichkeit
wurde in den Konsens zweier Kontrahenten aufgelöst’. Man sah
einerseits in der Beschlußfassung der Volksvertretung über den Inhalt
des Gesetzes eine Betätigung der Gesetzgebungsgewalt und man nannte
die Volksvertretung deshalb »den gesetzgebenden Körper«; andererseits
zog. man die königliche Sanktion herunter zu einer bloßen Zustimmung
zu den Beschlüssen des Corps lEgislatif. Formen und Ausdrücke des
englischen Rechts wurden auch hier von Einfluß. Da in England die
Zustimmung des Königs zu der vom Parlament beschlossenen Bill
Royal Assent’?) heißt, so bezeichnete auch die französische Konstitution
von 1791 die vom Könige erteilte Sanktion Consentement royal und
in der französischen Literatur des konstitutionellen Staatsrechts war
die Auffassung durchweg herrschend, daß die Sanktion des Gesetzes
durch den König ein der Genehmigung des Gesetzes durch die Kam-
mern gleichartiger Akt, eine Erklärung von gleichem Willens-
inhalte sei.
Diese Anschauungen wurden auch in Deutschland geltend °). Fast
alle Darstellungen des deutschen Staatsrechts, auch wenn sie die Lehre
von der Teilung der Gewalten verwerfen und von dem sogenannten
monarchischen Prinzip ausgehen, erfordern zum Zustandekommen
eines Gesetzes den »übereinstimmenden Willen« des Landesherrn und
1) Der mittelalterliche Staat und insbesondere der auf den Trümmern des Feudal-
wesens erwachsene ständische Staat hat bekanntlich die gesetzgebende Gewalt des
Staates nur sehr unvollkommen entwickelt und an ihre Stelle eine vertragsmäßige
Vereinbarung über die Befolgung gewisser Rechtsnormen gesetzt. Anschauungen
dieser Art wirkten noch lange nach, auch nachdem der moderne Begriff des Staates
als einer Person des öffentlichen Rechts bereits ausgebildet war. So z..B. noch
G. Meyer, Staatsr. $ 157.
2) Dieser Ausdruck, sowie die in England übliche Sanktionsformel „le roy le
veult“ erklären sich daraus, daß in früherer Zeit alle Bills des Parlaments dieForm
von Petitionen an die Krone hatten. Vgl. May, Das englische Parlament und
sein Verfahren (übers. von Oppenheim) S. 378fg.; Cox, Die Staatseinrichtungen
Englands (übers. von Kühne) S. 14, 42. Redlich, Englischer Parlamentarismus
(Leipzig 1905) S. 19fg. Hatschek, Engl. Staatsr. Bd. I, S. 115 ff.
3) Vgl. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht, Politik IL, S. 476. Am deutlichsten
Grotefend, Staatsrecht $ 621, S. 634: „Die Entschließungen sowohl des Souveräns
und des Landtages als auch jeder der beiden Kammern dieses letzteren stehen sich
hinsichtlich der rechtlichen Bedeutung völlig gleich.“ Auch Bluntschli sagt noch
in der fünften Auflage seines Allgem. Staatsrechts (1876) S. 132 ausdrücklich: „Was
die Abstimmung durch die Kammern, ist die Sanktion des Hauptes.“