Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 60. Begriff und juristische Natur der Staatsverträge. 131 
liche Inhalt der Verkündigung ist nicht die Bekanntmachung des Pu- 
blikums mit dem Staatsvertrage, sondern der Befehl des Staates an 
Behörden und Untertanen, den Vertrag zu beobachten. Völker- 
rechtlich ist der Abschluß des Vertrages der entscheidende Vor- 
gang, staatsrechtlich die Verkündigung; die staatsrechtliche 
Theorie aber hat sich daran gewöhnt, sich vorzugsweise mit dem Ab- 
schlusse und nur nebenher und in flüchtiger Kürze mit der Verkündi- 
gung der Staatsverträge zu beschäftigen, da diese Verkündigung ihrem 
äußeren Bestande nach nichts weiter enthält als den Wortlaut des 
Vertrages. 
War diese Form schon vor der Einführung der konstitutionellen 
Verfassung eine inkorrekte, so ist sie nach derselben eine durchaus 
verwerfliche. Denn an dem Abschluß des Vertrages ist der 
Landtag niemals beteiligt; dagegen kann der Befehl, den Vertrag 
zu befolgen, in allen Fällen, in denen der Vertrag in den Bereich der 
Gesetzgebung eingreift, vom König nicht ohne Zustimmung des Land- 
tages erlassen werden '). Die Mitteilung der Tatsache, daß der König 
einen Staatsvertrag abgeschlossen hat, involviert nicht mehr die selbst- 
verständliche Anordnung, diesen Vertrag zu befolgen; denn diese An- 
ordnung hat noch eine andere Voraussetzung als den Willen des 
Königs, nämlich die Zustimmung des Landtages; folglich sollte diese 
Anordnung nicht mehr stillschweigend erteilt werden, sondern 
unter Konstatierung der vom Landtage erteilten Genehmigung. 
Daß man die vor 1848 bestehende Form beibehalten hat, beruhte 
anfangs vielleicht auf einem Irrtum über die juristische Bedeutung der 
Verkündigung; und — wie unten näher ausgeführt werden wird — 
darauf, daß man eine doppelte Ausfertigung des Vertrages unterließ; 
daß man sie später nicht änderte, auf der Macht der Gewohnheit. 
Im höchsten Grade zu bedauern ist es aber, daß die preußische 
Art der Verkündigung im Norddeutschen Bunde und im Deutschen 
Reiche beibehalten worden ist; denn hier ist der Kaiser nicht der 
Souverän, hier kommt nicht bloß der Reichstag, sondern auch der 
Bundesrat als ein eigenartiger Faktor in Betracht; hier wird das Ver- 
hältnis der vom Reich ausgehenden Befehle zu den Befehlen der Ein- 
zelstaaten, insbesondere also auch das Verhältnis der Staatsverträge 
des Reiches zu den Landesgesetzen der Einzelstaaten von Wichtig- 
keit; hier können die Sonderrechte der Einzelstaaten in Betracht 
kommen usw. Der bloße Abdruck des Vertrages in dem Reichsge- 
setzblatt ohne jede Ausfertigungsformel trägt allen diesen Fragen keine 
Rechnung; er läßt den staatsrechtlichen Vorgang, welcher dem inter- 
nationalen Rechtsgeschäft die Bedeutung rechtsverbindlicher Normen 
verschafft, völlig im Dunkeln, und er ist schuld daran, daß sowohl 
die Theorie wie die Praxis hinsichtlich der Behandlung, der Wirkung, 
1) Anderer Ansicht Arndt S. 709, der falsche Folgerungen aus einer unrich- 
tigen Auslegung des Art. 48 der Preußischen Verfassungsurkunde zieht.
	        
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