8 70. Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete. 267
Diese Gesellschaft hat nach $1 ihrer Statuten privatwirtschaft-
liche Zwecke, insbesondere den Erwerb und die Ausbeutung von
Grundbesitz und Bergwerken, ist aber auch befugt, die Ausübung
staatlicher Hoheitsrechte zu übernehmen, »soweit solche der Gesell-
schaft für ihre Gebiete übertragen werden«. Dies ist nicht geschehen;
die Gesellschaft hat demnach auch keinen Schutzbrief erhalten, und
sie hat für die staatsrechtlichen Verhältnisse eine geringe Bedeutung!).
Die Schutzgewalt des Reiches beruht vielmehr auf völkerrechtlichen
Akten, welche mit den privatrechtlichen Erwerbungen der Firma
Lüderitz zwar tatsächlich eng zusammenhängen, rechtlich aber von
ihnen verschieden sind. Das Schutzgebiet zerfällt in dieser Beziehung
in zwei Teile.
Ueber den im Eigentum der Deutschen Kolonialgesellschaft stehen-
den Küstenstrich übernahm das Reich auf Antrag des Herrn
Lüderitz durch Erklärung des Reichskanzlers vom 24. April 1884 den
Schutz?). Am 7. August 1884 wurde durch die deutschen Kriegsschiffe
»Elisabeth« und »Wolf« die Küste vom Kap Frio bis zum Oranjefluß
mit den dazu gehörigen Inseln (mit Ausnahme der Walfischbai) in
Besitz genommen und der Akt der Besitzergreifung durch Flaggen-
hissen und Errichtung von Grenzpfählen ersichtlich gemacht).
Es wurden ferner Schutz- und Freundschaftsverträge
geschlossen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kapitän Jos.
Fredericks am 28. Oktober 1884, mit dem Topnaar- Häuptling Piet Haibib
am ——"@“_ 1884, mit den Häuptlingen Jan Jonker Afrikander,
Hermann v. Wyk, Manasse Naresib, Jak. Isaak v. Berseba, Kornelius
Zwaartboi, Jan ’Ui Xamab, und mit den Häuptlingen von Herero und
von Omaruru in den Jahren 1884 und 1885, und auf Grund derselben
ist von Seiner Majestät dem deutschen Kaiser der Schutz über diese
Gebiete übernommen worden*). Diese Verträge haben einen überein-
stimmenden Inhalt und größtenteils auch identischen Wortlaut. Sie
bestimmen ’):
a) Die Häuptlinge stellen ihre Länder und Völker unter den
deutschen Schutz, den der Kaiser übernimmt. Sie verpflichten sich,
keinen Teil ihrer Gebiete oder Völker einer anderen Nation ohne Zu-
stimmung des Kaisers abzutreten, noch Verträge mit anderen Regie-
rungen ohne seine Zustimmung abzuschließen; sie versprechen, aller
deutschen Reichsangehörigen und Schutzgenossen Leben und Eigentum
1) Vgl. auch Jo&l S. 198.
2) Weißbuchl, S. 88; Deutsche Kolonialpolitikl, S. 77.
3) Weißbuchl], S. 108, 117, 123.
4) Auch die in Grootfontain angesiedelten Buren sind auf ihren Antrag im Ja-
nuar 1887 unter den Schutz des Deutschen Reiches gestellt worden. Deutsche
Kolonialzeitung 1897, S. 70.
5) Nähere Mitteilungen darüber finden sich bei v. Stengel, Annalen 1887,
S. 809 fg., vgl. auch Meyer S.8 Herm. Hesse, Die Schutzverträge in Südwest-
afrika. Berlin 1905. '