Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

224 $ 78. Die Gewerbepolizei. 
II. Der Gewerbebetrieb im Umherziehen. 
Die Gewerbeordnung versteht darunter den Gewerbebetrieb außer- 
halb des Wohnortes des Unternehmers ohne Begründung einer ge- 
werblichen Niederlassung und ohne vorgängige Bestellung in eigener 
Person. Es gehören daher nicht dahin die ambulanten Gewerbe- 
betriebe innerhalb des Gemeindebezirks, in welchem der Unternehmer 
wohnt, insbesondere der Höker, Trödler, Hausierer, sowie der Ge- 
werbebetrieb durch Handlungsreisende. Die gewerbepolizeilichen Be- 
schränkungen des Gewerbebetriebs im Umbherziehen sind jedoch zum 
großen Teil auf diese Betriebsarten ausgedehnt worden. 
Abgesehen von der allgemeinen Meldepflicht, welche in derselben 
Weise wie beim Betriebe eines stehenden Gewerbes zu erfüllen ist!), 
bedarf der Gewerbetreibende eines Wandergewerbescheines, 
der von der höheren Verwaltungsbehörde des Wohnortes oder Auf- 
enthaltsortes des Nachsuchenden für die Dauer eines Jahres erteilt 
wird und den Jnhaber berechtigt, in dem ganzen Gebiete des Reiches 
das bezeichnete Gewerbe nach Entrichtung der darauf haftenden Lan- 
dessteuern zu beireiben ?). Er enthält die Personalbeschreibung des 
Inhabers und die nähere Bezeichnung des Geschäftsbetriebes nach 
einem vom Bundesrat festgesetzen Formular’). DBefreit von dem Er- 
fordernis des Wandergewerbescheines sind einige Gewerbe, welche in dem 
größten Teile des Reichsgebietes von Entrichtung einer Gewerbesteuer be- 
freit und deshalb auch einer gewerbepolizeilichen Kontrolle nicht unter- 
worfen sind, insbesondere die Feilbietung von selbstgewonnenen oder 
rohen Erzeugnissen der Land- und Forstwirtschaft, des Garten- und 
Obstbaues, der Geflügel- und Bienenzucht, der Jagd und Fischerei). 
Für Handlungsreisende tritt an die Stelle des Wandergewerbescheins die 
»Legitimationskarle«x (GO. $ 44a); für den ambulanten Gewerbebetrieb 
innerhalb des Gemeindebezirks des Wohnorts kann nach näherer Be- 
stimmung des $ 42b eine besondere Erlaubnis für erforderlich erklärt 
werden. Die zahlreichen Beschränkungen, denen der Gewerbebetrieb 
im Umherziehen unterworfen ist, sind in der Gewerbeordnung in fol- 
gender Weise gruppiert: 
den Gewerbetreibenden, läßt aber gewisse Dispensationen zu. Wird eine solche Dis- 
pensation erteilt, so wird nicht ein subjektives Recht konstituiert, sondern die natür- 
liche Handlungsfreiheit wiederhergestellt, welche ohne den gesetzlichen Zwang zur 
Sonntagsruhe von selbst bestehen würde. 
1) Gewerbeordnung 8 14, Abs. 1. A. A. Landmannl, 8.145; Seydellll, 
S. 420, Note 177. 
2) Gewerbeordnung $ 55; 8 60, Abs. 1; 8 61. Ausgenommen sind Musikauffüh- 
rungen, Schaustellungen, theatralische Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten, bei 
denen es an einem höheren Interesse der Kunst oder der Wissenschaft fehlt; der 
dafür erteilte Wandergewerbeschein gilt nur für den Bezirk derjenigen Verwal- 
tungsbehörde, welche ihn ausgestellt hat. 8 60, Abs. 2. 
3) Gewerbeordnung $ 60, Abs. 4. 
4) Gewerbeordnung $ 59. Außerdem der Vertrieb selbstgefertigter Waren in 
der Umgegend des Wohnsitzes des Verfertigers.
	        
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