$ 81. Die Medizinal- und Veterinärpolizei. 2793
$ 81. Die Medizinal- und Veterinärpolizei.
Die Zuständigkeit des Reichs zur Gesetzgebung und Beaufsichtigung
erstreckt sich nach Art. 4, Ziffer 15 der Reichsverfassung auf »Maß-
regeln der Medizinal- und Veterinärpolizeic. Die Bearbeitung dieser
Angelegenheiten gehört zum Geschäftsbereich des Reichsamts des Innern;
technische Fragen werden vom Gesundheitsamt bearbeitet.
I. Die Medizinalpolizei!').
Die Rücksicht auf die Verhütung oder Beseitigung von Krank-
heiten ist ein Gesichtspunkt, welcher sich durch die gesamte Gesetz-
gebung des Reichs hindurch zieht und für fast alle Verwaltungen in
größerem oder geringerem Grade Bedeutung hat. Sowohl das Straf-
gesetzbuch als die für die einzelnen Verwaltungen bestehenden Vor-
schriften enthalten zahlreiche Anordnungen, welche zur Durchführung
dieses Staatsinteresses dienen. In diesem Sinne ist daher die Gesund-
heitspflege keine besondere, formell abgegrenzte Staatsaufgabe, kein kon-
kret ausgebildeter Verwaltungszweig, sondern ein Motiv für die gesamte
Staatstätigkeit, welches sich bald als positiv zu erreichender Zweck,
bald als Schranke für die Verwirklichung anderer Zwecke geltend
macht. Wollte man aus allen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften
des Reichs diejenigen Vorschriften zusammenstellen, welche eine Be-
ziehung auf die Gesundheitspflege haben, so bekäme man eine bunte
unübersichtliche Masse ohne inneren juristischen Zusammenhang. In
derselben Weise macht sich aber die Rücksicht auf die Gesundheits-
pflege auch bei vieien Zweigen der Staatstätigkeit geltend, welche der
Autonomie der Einzelstaaten überlassen sind, z. B. im Bauwesen,
Bergwesen, Schulwesen usw.; eine allgemeine Zuständigkeit des
Reiches zur Gesetzgebung und Beaufsichtigung von Maßregeln der Ge-
sundheitspflege würde daher fast alle Verwaltungen und Einrichtungen
der Einzelstaaten unter diesem Gesichtspunkt der Einwirkung der
Reichsorgane unterwerfen. Der Begriff der Medizinalpolizei im Sinne
des Art. 4; der Reichsverfassung muß daher viel enger begrenzt werden;
es sind darunter nur solche Maßregeln zu verstehen, welche aus-
schließlich dem Zweck dienen, den Ausbruch oder die Verbreitung
von Krankheiten zu verhüten, und welche nicht einen Teil einer
anderen staatlichen Gesetzgebung oder Einrichtung bilden. Esscheiden
daher aus die Vorschriften über den Befähigungsnachweis der Aerzte,
Hebammen und Apotheker, über den Verkehr mit Arzneien und
1) Wiener, Handbuch der Medizinalgesetzgebung des Deutschen Reichs und
seiner Einzelstaaten, 2 Bde., Stuttgart 1883 ff.; Guttstadt, Deutschlands Gesund-
heitswesen, 2 Bde., Leipzig 1896; Pistor, Das Gesundheitswesen in Preußen nach
dem Reichs- und preuß. Landesrecht, 2 Bde., Berlin 1898; Finkelnburgin Con-
rads Handwörterbuch III, S. 85; Löning, Verwaltungsrecht 8 65 ff.;, G. Meyer-
Dochow $S 75 ff.; Seydel, Bayerisches Staatsrecht Bd. 3, S 69 ff.; W. Ewald,
Soziale Medizin, 2 Bde. 1911/12.