Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

8 82. Die Arbeiterversorgung. 291 
Die Reichsgesetzgebung hat dafür gesorgt, daß Personen, welche 
gegen Gehalt oder Lohn arbeiten, falls sie von einer Krankheit oder 
einem Betriebsunfall betroffen oder durch Alter oder Invalidität er- 
werbsunfähig werden, sowie ihre Hinterbliebenen, vor Not gesichert 
seien. Wegen dieser »Sicherung« vor wirtschaftlichen Uebeln nennt 
man die reichsgesetzlich getroffenen, diesem Zweck dienenden Vorschrif- 
ten und Einrichtungen »Arbeiterversicherung« und diese Bezeichnung 
ist von der Reichsgesetzgebung angenommen worden und in der Li- 
teratur gebräuchlich. 
Dieser Name darf aber nicht zur Annahme verleiten, daß die in 
Rede stehenden Rechtsverhältnisse sich dem Rechtsbegriff der Asse- 
kuranz unterordnen lassen, von welchem sie vielmehr spezifisch ver- 
schieden sind!. Der laienmäßige Sprachgebrauch verwendet das 
Wort »Versicherung« ohne Rücksicht auf die juristische Natur des 
Rechtsverhältnisses und der aus demselben hervorgehenden Leistungen 
für alle Maßnahmen, welche dem tatsächlichen Erfolge nach eine 
Sicherstellung vor einem wirtschaftlichen Uebel bewirken. Nebenab- 
reden beim Kauf, bei der Pacht, beim Frachtgeschäft, Pfandbestellung 
und Bürgschaft, Depositum, Sozietät, Einlagen bei Sparkassen, Leib- 
rentenverträge usw. können mit der Assekuranz den Sicherungs- 
effekt, das securum facere, gemein haben; aber das Mittel, durch 
welches dieser Erfolg herbeigeführt wird, hat in jedem dieser Fälle 
eine andere rechtliche Natur, und zwar. durchweg eine von dem Asse- 
kuranzvertrag sehr verschiedene. 
Eine Sicherung vor wirtschaftlichen Uebeln bieten auch die 
Reichsgesetze dem Arbeiter und mit Rücksicht auf diesen Erfolg kann 
man von einer Arbeiterversicherung reden; das Mittel aber, durch welches 
dieser Erfolgerreicht wird, hat eine ganz andere Gestalt als dasjenige Rechts- 
institut, welches die Wissenschaft und Gesetzgebung als Versicherungsver- 
trag bezeichnen. Denn selbst wenn man dieses Wort in so weitem Sinne 
nimmt, ja selbst wenn man jeden Vertrag, welcher darauf abzielt, 
einen der beiden Kontrahenten für eine von ihm gemachte Leistung 
vor einer ihn bedrohenden Gefahr zu sichern, einen Versicherungs- 
vertrag nennen dürfte, so müßte doch immer als begriffliches Ele- 
ment übrig bleiben die Begründung eines Rechtsverhältnisses durch 
Vertrag und die aus demselben hervorgehende Verpflichtung der 
Kontrahenten zu gegenseitigen Leistungen. Aber selbst diese einfach- 
sten und allgemeinsten Merkmale aller Kontraktsobligationen fehlen 
bei derjenigen Rechtsbildung, durch welche die Versorgung der Arbeiter 
verwirklicht wird. 
1) Vgl. Rosin, Arbeiterversicherung I, S. 255 ff. und in der Festschrift für 
mich Bd. II S. 43—134 (1908) unter eingehender Widerlegung der geltend gemachten 
Einwendungen; Pröbst in Hirths Annalen 1888, S.319 ff.; Lewis, Versicherungs- 
recht (1889) S. 346 fg.; 353; Rehm im Archiv für öffentl. Recht Bd. 5, S. 529 ff.; 
WeylS.888 fg.; Jellinek, System der subj. öffentl. Rechte S. 255; Seydel 
a. a. OÖ. S. 143. Entscheidung des Reichsgerichts in Zivils. Bd. 65, S. 114 ff.
	        
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