394 & 84. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit.
bracht '). Soweit besondere Vorschriften in dieser Richtung nicht be-
stehen, kommt allerdings das allgemeine Recht zur Anwendung. Dem-
gemäß ist reichsgesetzlich angeordnet, daß in Ansehung der Landes-
herren und der Mitglieder der landesherrlichen Familien, sowie der
Mitglieder der fürstlichen Familie Hohenzollern und der vormaligen
landesherrlichen Häuser von Hannover, Kurhessen und Nassau die
Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Strafprozeßordnung,
der Zivilprozeßordnung und der Konkursordnung nur insoweit An-
wendung finden, als nicht besondere Vorschriften der Hausverfas-
sungen oder der Landesgesetze abweichende Bestimmungen enthal-
ten ?). Diese Reichsgesetze haben daher in Ansehung der in Rede
stehenden Personen nur subsidiäre Geltung, und es folgt hieraus,
daß nicht bloß die zur Zeit der Einführung der Reichsgesetze beste-
henden, sondern auch die später erlassenen hausgesetzlichen oder
landesgesetzlichen Vorschriften den Vorrang vor den Reichsgesetzen
haben.
Aufgehoben ist jedoch die in einigen Staaten‘) in Geltung ge-
wesene Beschränkung, wonach der Rechtsweg bei Klagen gegen den
Landesherrn von der Einwilligung desselben abhängig war, für ver-
mögensrechtliche Ansprüche Dritter, d.h. nicht zur
landesherrlichen Familie gehörender Personen‘).
b) Zu den Vorrechten, welche den mediatisierten, ehe-
mals reichsständischen Familien bei Gründung des Rhein-
bundes und des Deutschen Bundes eingeräumt worden sind, gehörten
auch Privilegien hinsichtlich des Gerichtsstandes und Exemtionen von
der Gerichtsbarkeit. Mit den Veränderungen der Staats- und Gerichts-
verfassung im Laufe des Jahrhunderts sind diese Sonderrechte mei-
stens aufgehoben oder gegenstandslos geworden, und die Reichsgesetz-
gebung hat sie für das Gebiet der ordentlichen streitigen Gerichtsbar-
1) In fast allen Kommentaren zu den Reichsjustizgesetzen wird die entgegen-
gesetzte Ansicht vertreten; für die im Text aufgestellte haben sich erklärt Thudi-
chum in Hirths Annalen 1885, S. 320 f.; Wach, Zivilprozeßordnung I], S. 413 fg.;
Steputat, Die verfassungsrechtliche Stellung der deutschen Landesherren zur Ge-
richtsbarkeit, Greifswald 1892; v. Kriesa.a. 0.8.89; Bennecke S.40, Note 30;
jetzt auch Binding, Grundriß des Strafprozeßrechts (4. Aufl. 1900), S. 57 und
Hellwiga.a. 0O.S. 49.
2) Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz $ 5, zur Strafprozeßordnung
S 4, zur Zivilprozeßordnung $ 5, zur Konkursordnung $ 7, in der Fassung der No-
vellen von 1898. In Preußen gilt, wiev.Kries S.74, Note 2 bemerkt, noch jetzt
8 251 der Kriminalordnung: „Wider Prinzen und Prinzessinnen des königl. Hauses...
findet keine Untersuchung und keine Verhaftung statt; es sei denn, dab sie von dem
Oberhaupt des Staats einem Gericht oder einem einzelnen Justizbedienten aufgetra-
gen worden.“
3) Nach Angabe der Motive S. 210 (Hahn S. 184) Mecklenburg-Schwerin, Mecklen-
burg-Strelitz und Sachsen-Meiningen; nach den Ausführungen des Abg. Gaupp auch
Württemberg. Protokoll I. Lesung, S. 438 (Hahn S. 649). Vgl. desselben Württem-
bergisches Staatsrecht S. 70 (2. Aufl.).
4) Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung $ 5.