$ 84. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. 395
keit’) vollends beseitigt; nur einen Rest derselben hat sie fort-
bestehen lassen, nämlich »das landesgesetzlich den Standesherren ge-
währte Recht auf Austräge« ?). Der Sinn dieser Anordnung ist einiger-
maßen schwer zu verstehen wegen der sehr sonderbaren Bedeutung,
in welcher das Wort »Austräge« hier verwendet ist. Seinem wört-
lichen und ursprünglichen Sinne nach bedeutet das Wort ein schieds-
richterliches Verfahren. Insofern nun ein solches auf einem für
den einzelnen Streitfall unter den Parteien vereinbarten Vertrage be-
ruht, ist die Zulassung desselben keine Exemtion von der Gerichts-
barkeit und kein Vorrecht eines bestimmten Standes. Zur Zeit des
ehemaligen Deutschen Reiches hatten aber die reichsunmiittelbaren
Personen ein Recht darauf, daß Klagen, welche von Personen glei-
chen oder höheren Ranges gegen sie angestrengt wurden, nicht vor
Territorialgerichten oder Reichsuntergerichten, sondern vor einer ge-
ordneten Austrägalinstanz entschieden wurden. In dieser Gestalt be-
deutet das Recht auf Austräge eine Exemtion von der Reichs- und
Territorialgerichtsbarkeit. Der ursprüngliche Sinn des Instituts wurde
jedoch insoweit festgehalten, als Austräge nur bei Privatklagen
zugelassen waren, dagegen in Kriminalsachen nicht statt-
fanden?) Allein ein inkorrekter Sprachgebrauch verallgemeinerte
die Bedeutung des Wortes »Austräge«, so daß statt des positiven Sin-
nes »Schiedsgericht« darunter jeder Ausschluß der landesherrlichen
Gerichtsbarkeit verstanden wurde und das »Recht auf Austräge« gleich-
bedeutend mit Befreiung von der Gerichtsbarkeit wurde. In diesem
inkorrekten Sinne wurde das Wort verwendet von der Rhein-
bundsakte Art.28, welche den Mediatisierten in Kriminalsachen
Pairsgerichte zusicherte und dies in folgender Art ausdrückte: En
matiere criminelle les princes et comtes actuellement rögnants etleurs
heritiers jouiront du droit daustregues dest ä dire d’Etre
jug&s par leurs pairs etc. Dementsprechend bestimmt die
königlich bayerische Deklaration von 1807 A. Ziff. 11:
»In peinlichen Fällen, mit Ausnahme von Militärver-
brechen, genießen die subjizierten Fürsten und Grafen und
ihreErben dasRechteinerAusträgalinstanz, näm-
lich durch Richter ihres Standes gerichtet zu
werden.
Da die deutsche Bundesakte von 1815 Art. XIV bestimmte,
daß diese bayerische Verordnung von 1807 in allen deutschen Bundes-
staaten als Basis und Norm bei Feststellung des Rechtszustandes der
1) Nur für diese, nicht für Akte der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit,
Erbesregulierungen, Vormundschaftssachen und andere Familienangelegenheiten usw.
Art. 58 des Einf.-Ges. z. BGB. und 8 189 des Reichsgesetzes über die freiw. Gerichtsb.
2) Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz 8 7.
3) Vgl. die Darstellung von Hermann Schulze, Einleitung in das deutsche
Staatsrecht 8 86.