424 8 88. Die Gerichtsverfassung.
erlassenen Gerichtsverfassungsgesetz sind beide Seiten in kunstvoller,
aber wenig übersichtlicher Weise miteinander verschlungen.
l. DieOrdnung der Gerichtein bezug auf das Streit-
verfahren‘).
Die moderne Gerichtsverfassung ist dadurch in sehr eigentümlicher
Weise ausgezeichnet, daß die zur Rechtsprechung bestimmten Organe
des Staates nicht gleichmäßig und nach demselben Grundprinzip ge-
bildet sind, sondern daß die Zuammensetzung der rechtsprechenden
Gerichte eine andere ist in bürgerlichen Prozessen als in Strafsachen,
eine andere in großen und wichtigen Rechtssachen als bei Prozessen
um geringere Streitgegenstände, eine andere endlich in den verschie-
denen Instanzen. Die Gegensätze, um welche es sich hierbei handelt,
bestehen hauptsächlich darin, daß zur Entscheidung und Urteilsfällung
entweder Einzelrichter oder Kollegien berufen werden, daß die letzte-
ren entweder aus lauter im Staatsdienst angestellten, juristisch gebilde-
ten berufsmäßigen Beamten oder aus richterlichen Beamten und Laien
zusammengesetzt werden, daß endlich die Zahl der Mitglieder der
Spruchkollegien verschieden ist. Daß diese Verschiedenheiten der Ge-
richte zugleich tief eingreifende Verschiedenheiten des gerichtlichen Ver-
fahrens zur Folge haben, bedarf hier keiner näheren Darlegung. Von
diesen Gesichtspunkten aus sind auf dem Gebiete der ordentlichen
streitigen Gerichtsbarkeit folgende Kategorien von Rechtsstreitigkeiten
und ihnen entsprechend folgende Arten, beziehentlich Reihen, von Ge-
richten zu unterscheiden.
1. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten.
Dieselben zerfallen in zwei Klassen, die man in Kürze als kleine
und große Rechtssachen bezeichnen kann.
a) Die kleinen Rechtssachen sind vermögensrecht-
liche Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder
Geldeswert die Summe von 600 Mark nicht über-
steigt‘), mit Ausnahme der in 8 70, Abs. 2 des Gerichtsverfassungs-
gesetzes aufgeführten Ansprüche; ferner ohne Rücksicht auf den Wert
des Streitgegenstandes die in $ 23, Ziff. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes
aufgeführten Streitigkeiten; endlich die Konkurse?) und das Aufgebots-
verfahren.
Für diese Rechtssachen sind zuständig in erster Instanz die
Amtsrichter, das sind zum Richteramt befähigte, berufsmäßig an-
*, Es handelt sich im folgenden nicht um eine vollständige Darstellung dieser
Lehre, welche ihren Platz nur in Werken über das Prozeßrecht finden kann, sondern
nur um die Hervorhebung derjenigen Grundprinzipien, ohne deren Kenntnis auch
die organisatorische Seite der Gerichtsordnung nicht verständlich ist.
1) Gerichtsverfassungsgesetz $ 23, Ziff. 1 in der Fassung des Gesetzes vom
1. Juni 1909.
2) Konkursordnung 88 71, 214, 238, Abs. 2.