Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

8 89. Die Staatsanwaltschaft. 443 
Gesamtheit der bei den verschiedenen Gerichten zur Wahrnehmung 
der staatsanwaltschaftlichen Funktionen bestellten Staatsanwälte; die 
»Staatsanwaltschaft eines Gerichts« ist nur eine staatsanwaltschaftliche 
Station; alle diese Stationen sind in einer einheitlichen Behörden- 
organisation verbunden, für deren Gesamtheit es keine andere Be- 
zeichnung gibt als »Staatsanwaltschaft«, allenfalls unter Hinzufügung 
des Einzelstaates, dem sie angehört '!). 
Von diesem Grundprinzip aus ergeben sich drei Folgesätze, durch 
deren Sanktionierung das Reich die Durchführung dieses Prinzips in 
den Einzelstaaten gesichert hat, nämlich: 
1. Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen An- 
weisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen ?), und zwar, wie die 
Motive zum Gerichtsverfassungsgesetz S. 165 (Hahn S. 149) erläuternd 
bemerken, nicht nur den allgemeinen Anordnungen, sondern auch 
den in einer speziellen Strafsache ergehenden Anweisungen. Sie haben 
nicht das Recht einer selbständigen und unabhängigen, durch die eigene 
Rechtsüberzeugung allein bestimmten Entscheidung hinsichtlich ihrer 
Dienstverrichtungen; sie sind nicht nur der Aufsicht, sondern auch 
der Leitung eines Chefs unterworfen °). Die Leitung steht dem Reichs- 
kanzler hinsichtlich der am Reichsgericht bestellten Reichsanwaltschaft 
(Oberreichsanwalt und Reichsanwälte), der Landesjustizverwaltung hin- 
sichtlich aller staatsanwaltschaftlichen Beamten des betreffenden Bun- 
desstaates zu‘), also in allen Fällen einem Verwaltungschef. 
Demgemäß hat die Reichsgesetzgebung die dienstliche Stellung der 
Beamten der Staatsanwaltschaft nicht mit denjenigen schützenden 
Garantien ausgestattet, welche die Unabhängigkeit der Richter gewähr- 
leisten sollen, sondern es den Einzelstaaten überlassen, darüber 
Anordnungen zu treffen. Den Oberreichsanwalt und die Reichsan- 
wälte aber hat das Gesetz ausdrücklich für nicht richterliche Beamte 
erklärt’) und sie denjenigen Beamten zugezählt, welche durch kaiser- 
liche Verfügung jederzeit mit Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes 
1) Für das Verständnis des Gerichtsverfassungsgesetzes ist eine eigentümliche 
Terminologie desselben beachtenswert. Bei den Amtsgerichten und den Schöffen- 
gerichten wird das Amt der Staatsanwaltschaft ausgeübt durch einen oder mehrere 
„Amtsanwälte“ (8 143, Ziff. 3); dieselben gehören zu den „Beamten der Staats- 
anwaltschaft“ ($ 144, 147, 148), sie versehen „das Amt der Staatsanwaltschaft“ ($ 146); 
allein sie werden unter der Bezeichnung „Staatsanwälte“ nicht mitbegriffen. Diese 
Terminologie ist auch für die Auslegung der Strafprozeßordnung sowie der landes- 
gesetzlichen Ausführungsbestimmungen und der Gerichtskonventionen zu beachten. 
2) Gerichtsverfassungsgesetz 8 147, Abs. 1. 
3) Vgl. hierüber auch die Verhandlungen der Reichstagskommission. Protokoll 
I. Lesung, S. 415 ff. (Hahn S. 632 ff.), sowie des Plenums des Reichstages. Stenogr. 
Berichte 1876, S. 310 ff. (Hahn S. 1341 ff.). 
4) Gerichtsverfassungsgesetz 8 148, Abs. 1 u. 2. 
5) Ebendaselbst $ 149, Abs. 1. Dieselbe Bestimmung befindet sich hinsichtlich 
der Oberstaatsanwälte und Staatsanwälte in zahlreichen Ausführungsgesetzen der 
Einzelstaaten.
	        
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