8 90. Die Rechtsanwaltschaft. 459
Kaufmannsgerichten Rechtsanwälte und Rechtskonsulenten nicht zu-
gelassen’).
2. Pflicht zur Uebernahme von Aufträgen. Im all-
gemeinen besteht für den Rechtsanwalt keine Verpflichtung, Aufträge,
durch welche seine Berufstätigkeit in Anspruch genommen wird, an-
zunehmen; sein eigenes Erwerbsinteresse erscheint als eine genügende
Garantie, um seine Dienstleistungen dem Publikum, welches dieselben
wünscht, zu sichern. Es ist im Gegenteil dem Rechtsanwalt zur Pflicht
gemacht, seine Berufstätigkeit zu versagen, wenn sie für eine pflicht-
widrige Handlung in Anspruch genommen wird, wenn er in derselben
Sache bereits einer anderen Partei im entgegengesetzten Interesse ge-
dient hat, und wenn er in derselben Angelegenheit bereits als Richter
tätig gewesen ist?).. Dem Rechtsanwalt ist nur die Pflicht auferlegt,
denjenigen, der seine Dienste beansprucht, nicht darüber im unge-
wissen zu lassen, daß er sie ihm nicht gewähren wolle; er muß ihm
die Ablehnung des Antrages ohne Verzug anzeigen, widrigenfalls er
den durch die Verzögerung erwachsenen Schaden ersetzen muß).
Allein da die Tätigkeit eines Rechtsanwalts im Prozeß teils durch
Gesetz erfordert wird, teils durch die Beschaffenheit unseres materiellen
und Prozeßrechts faktisch vielfach unentbehrlich ist, so muß eine Ab-
hilfe gegen die Gefahr gegeben sein, daß eine Partei außerstande ist,
die Dienste eines Rechtsanwalts zu finden. In diesem Sinne liegt dem
Rechtsanwalt im Gegensatz zu dem gewöhnlichen Privatgewerbetrei-
benden eine öffentliche Dienstpflicht ob, zu deren Erfüllung er
seitens des Staates angehalten werden kann.
Es geschieht dies in der Art, daß das Prozeßgericht einer Partei
auf Antrag einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte bei-
ordnet; die Auswahl desselben erfolgt durch den Vorsitzenden des
Gerichts aus der Zahl der bei diesem zugelassenen Rechtsanwälte °).
Eine Beiordnung erfolgt im Zivilprozeß in denjenigen Sachen, in wel-
chen eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, wenn der Partei das
Armenrecht bewilligt worden ist’), oder wenn sie einen zu ihrer Ver-
tretung geneigten Anwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint‘) und
in Entmündigungssachen ’). Im Strafprozeß kann das Gericht auf An-
trag oder von Amts wegen einen Rechtsanwalt zum Verteidiger bestellen °).
1) Gewerbegerichtsgesetz $ 31. Kaufmannsgerichtsgesetz $ 16 Abs. 1.
2) Rechtsanwaltsordnung 8 31. 3) Rechtsanwaltsordnung $ 30.
4) Rechtsanwaltsordnung 8 36. Gegen die Verfügung steht der Partei und dem
Rechtsanwalt die Beschwerde nach Maßgabe der Zivilprozeßordnung $ 567 ff. zu.
5) Zivilprozeßordnung 8 114ff. Auch in solchen Fällen, in denen eine Vertre-
tung durch Anwälte nicht geboten ist. Rechtsanwaltsordnung $ 34.
6) Rechtsanwaltsordnung $ 33; der Rechtsanwalt kann einen Gehührenvorschuß
verlangen. $ 38.
7) Zivilprozeßordnung $$ 668, 679, Abs. 3, 686, Abs. 2.
8) Strafprozeßordnung $$ 141, 144. Rechtsanwaltsordnung $ 39.