Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

462 8 90. Die Rechtsanwaltschaft. 
den Urteilen der Disziplinarspruchbehörden formelle Rechtskraft (Voll- 
streckbarkeit) beigelegt werden. Im einzelnen gelten folgende Rechts- 
sätze: 
1. Die Disziplinarstrafen sind die gewöhnlichen, nämlich 
Warnung, Verweis, Geldstrafe (bis zu 3000 Mark) und — an Stelle der 
Entfernung aus dem Staatsdienst — Ausschließung von der Rechts- 
anwaltschaft’). Jede Handlung oder Unterlassung, welche eine Pflicht- 
verletzung darstellt, kann das disziplinarische Einschreiten begründen 
ohne Rücksicht darauf, ob auch ein Öffentliches Strafverfahren wegen 
desselben Tatbestandes eintritt oder nicht; jedoch ist während der 
Dauer des Öffentlichen Strafverfahrens das Disziplinarverfahren un- 
statihaft ?). Eine Verletzung der dem Rechtsanwalt obliegenden Pflichten 
kann aber erst verübt werden, nachdem diese Pflichten begründet 
sind, d. h. nach der Zulassung; deshalb ist im allgemeinen disziplina- 
risches Vorgehen wegen Handlungen, welche ein Rechtsanwalt vor 
seiner Zulassung begangen hat, unstatthaft; ausgenommen sind nur 
solche Handlungen, welche die Ausschließung von der Rechtsanwalt- 
schaft begründen °). 
2. Als Disziplinarbehörde erster Instanz fungiert der 
Vorstand derjenigen Kammer, welcher der Angeschuldigte zur Zeit der 
Erhebung der Klage angehört. Der Vorstand übt diese Funktion 
aus unter der Bezeichnung als Ehrengericht undin der Besetzung 
von fünf Mitgliedern ). Für das Verfahren kommen die Vorschriften 
der Strafprozeßgrdnung über das Verfahren in den zur Zuständigkeit 
der Landgerichte gehörigen Strafsachen zur Anwendung; dieselben 
sind jedoch durch eine große Zahl von besonderen Vorschriften er- 
gänzt und abgeändert’). Die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft 
werden von der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht wahr- 
genommen‘); mit der Führung der Voruntersuchung wird ein Richter 
durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts beauftragt’); als Ge- 
richtsschreiber ist ein dem Vorstande nicht angehörender, am Sitze 
der Kammer wohnhafter Rechtsanwalt zuzuziehen °). 
Für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der 
Beschwerde ist das Oberlandesgericht zuständig’); für das Verfahren 
gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung °°). 
  
  
1) Rechtsanwaltsordnung & 63. 
2) Rechtsanwaltsordnung $ 65. Hier werden dieselben Grundsätze wiederholt, 
welche das Reichsbeamtengesetz 88 77, 78 aufgestellt hat. Vgl. Bd. 1, S 48. III. 
3) Rechtsanwaltsordnung $ 64. 
4) A. a. OÖ. 8 67; nämlich dem Vorsitzenden, seinem Stellvertreter und drei vom 
Vorstande gewählten Mitgliedern, für welche zugleich Stellvertreter in bestimmter 
Reihenfolge bezeichnet werden. 
5) A. a. O. Sy 66 ff. 6) A. a. 0. 8 92. 7) A.2a.0.8 71. 
8) Ebendaselbst $ 81. 
9) Ebendaselbst $ 89; beziehentlich das Reichsgericht & 98. 
10) Ebendaselbst $ 91.
	        
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