Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 92. Die Zeugenpflicht. 493 
Reich beglaubigten Missionen nach näherer Anordnung der 88 18—21 
des Gerichtsverfassungsgesetzes !. Durch diese auf der staatsrecht- 
lichen oder völkerrechtlichen Stellung der erwähnten Personen be- 
ruhende Exemtion wird aber selbstverständlich nicht ausgeschlossen, 
daß sie als Zeugen vernommen werden können, wenn sie 
dazu sich bereit finden lassen ?). Abgesehen von diesen Personen gibt 
es keine Befreiungen von der Zeugenpflicht in abstracto, d. h. 
keine persönliche Exemtion von der allgemeinen Verpflichtung, dem 
Befehle der Gerichte zur Ablegung eines Zeugnisses zu gehorchen; die 
Fälle, in welchen eine Verweigerung des Zeugnisses gestattet ist, tref- 
fen nicht die Zeugenpflicht, sondern setzen besondere Umstände der 
konkreten Prozeßsache voraus. 
So wenig es Befreiungen von der Zeugenpflicht gibt, ebensowenig 
gibt es eine rechtliche Unfähigkeit zur Erfüllung derselben °). 
Es kann nur prozessualische Gründe geben, wonach gewisse 
Personen überhaupt oder für besondere Fälle als untauglich zur Er- 
bringung eines Zeugenbeweises erachtet werden, und so lange das 
Prozeßrecht der sogenannten formellen Beweistheorie folgte, gab es 
bekanntlich solche Gründe in erheblicher Zahl; derartige Vorschriften 
des Prozeßrechtes über den Zeugenbe weis sind aber wohl zu unter- 
scheiden von den Regeln des Staatsrechts über die Zeugen pflicht. 
2. Personen, welche sich im Auslande befinden, 
sind nicht zeugenpfiichtig, ohne Unterschied, ob 
siereichsangehörig sind odereinem fremden Staat 
angehören; denn die inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich 
nicht über die Grenzen des Bundesgebietes hinaus. Nurin denjenigen 
Fällen, in denen ausnahmsweise im Auslande eine Gerichtsbarkeit des 
Reiches oder der Bundesstaaten ausgeübt wird, besteht innerhalb des 
Umfanges derselben auch eine Zeugenpflicht; diese Ausnahmen sind 
die Konsular- und Schutzgerichtsbarkeit und die Gerichtsbarkeit der 
1) Vgl. oben S. 392. Vgl. Motive zum Gerichtsverfassungsgesetz S. 56 (Hahn 
S. 65 a.E.); v. Kries 8.91. Den Konsuln auswärtiger Staaten ist die Befreiung 
von der Zeugenpflicht öftersin den Konsularverträgen ausdrücklich zugesichert worden. 
2) Für die Vernehmung der Landesherren und der Mitglieder der landesherr- 
lichen Familien ist in der Strafprozeßordnung $ 71, Militärstrafgerichtsordnung $ 206 
und in der Zivilprozeßordnung $ 375 ein besonderes Verfahren angeordnet oder ge- 
stattet. Durch diese Vorschriften wird keine staatsrechtliche Zeugen pflicht dieser 
Personen, d.h. die Zulässigkeit eines staatlichen Zwanges gegen dieselben anerkannt, 
sondern nur eine Abweichung von dem gewöhnlichen Verfahren für den Fall ein- 
geführt, daß eine der erwähnten Personen geneigt ist, eine Zeugenaussage zu machen. 
3) Auch der wegen Meineids Verurteilte ist im Falle des $ 161 des Strafgesetz- 
buches nicht unfähig zur Ablegung einer Zeugenaussage, sondern nur zur Ableistung 
eines Zeugeneides. Vgl. Strafprozeßordnung $ 56, Ziff. 2; Zivilprozeßordnung 8 33, 
Ziff. 2. Dagegen kennt das Strafgesetzbuch Art. 34, Ziff. 5 die Strafe der Unfähig- 
keit „Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu sein“; dies ist aber kein Fall der ge- 
setzlichen Zeugenpflicht, sondern der freiwilligen Uebernahme einer Notariats- 
funktion (vertragsmäßigen Zeugenpflicht).
	        
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