Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

6 & 95. Allgemeine Prinzipien. 
Diesem Prinzip steht nun aber ein zweites, nicht minder wich- 
tiges zur Seite: die Einzelstaaten haben zwar Iruppen, aber die 
ihnen zustehendeMilitärhoheitistkeinesouveräne. 
So wie die Souveränität der Gliedstaaten durch die Unterordnung 
unter die Reichsgewalt im allgemeinen aufgehoben ist, so auch ins- 
  
  
steller, insbesondere Zorn, G. Meyer, H. Schulze, Brockhaus, Hänel, 
Arndt, Bornhak in den oben S. 1 angeführten Werken, die Ansicht vertreten, 
daß die Einheitlichkeit des Reichsheeres ebenso wie diejenige der Marine eine 
innere Einheit sei, in welcher die Sonderexistenz der Kontingente der Einzelstaaten 
untergegangen ist, so daß die Kontingente nur als Abteilungen des Heeres für be- 
sondere Zwecke der Verwaltung dienen, daß deshalb von einer Militärhoheit der 
deutschen Einzelstaaten sich in keinem Sinne reden lasse und daß die Kontingents- 
herrlichkeit der Landesherren und Senate ein „Ehrenrecht“ sei, welches keine staat- 
liche oder militärhoheitliche Gewalt in sich schließe. Hänel S. 531 versteigt sich 
sogar zu der paradoxen Behauptung, „daß die gesamte Militärverwaltung im vollen 
Wortsinne eigene und unmittelbare Verwaltung des Reiches ist“. Die 
Widerlegung dieser Theorie, welche mit der Entstehungsgeschichte der deutschen 
Militärverfassung, mit allen Bestimmungen der Reichsverfassung, der Reichsmilitär- 
gesetze, des Reichsbeamtengesetzes usw. und dem tatsächlichen Rechtszustande in 
vollem Widerspruch steht, habe ich im Archiv für öffentliches Recht 
Bd. 3, S. 491 ff. zu erbringen gesucht. Alle obersten Reichsbehörden ohne Aus- 
nahme, sämtliche Kriegsminister, derRechnungshof, das Reichs- 
gericht, der Bundesrat stehen auf dem Standpunkt der hier vertretenen 
Auffassung und haben ihn konstant festgehalten. Vgl. jetzt auch die trefflichen Aus- 
führungen von Seydel, Kommentar 2. Aufl, S. 3lOff.; Gümbelin Hirths Anna- 
len 1899, S. 147 ff.; Anschütz S. 620 ff.; v. Marschall S.576 ff. Eine Zusammen- 
stellung der für die entgegengesetzte Ansicht geltend gemachten (sämtlich unerheblichen) 
Gründe gibt Arndt, Reichsverfassung, 5. Aufl., S. 300 fg. Bei den folgenden Erörte- 
rungen wird sich die Gelegenheit bieten, auf die einzelnen in Betracht kommenden 
Punkte näher einzugehen. Hier mag nur darauf hingewiesen werden, daß die Be- 
zeichnung des Heeres als eines „einheitlichen“ im Art. 63, Abs. 1 der Reichsverfas- 
sung, worauf einige Schriftsteller besonderes Gewicht legen, für die hier in Rede 
stehende Streitfrage gänzlich bedeutungslos ist. Denn in demselben Abschnitt er- 
wälınt die Reichsverfassung wiederholt die „preußische Armee“, die „übrigen Kon- 
tingente*, das „bayerische Heer“ und die „eigenen Truppen der Bundesfürsten und 
Senate“, so daß also die Sonderexistenz der Kontingente in der Einheitlichkeit 
des Reichsheeres nicht untergegangen ist; und andererseits wird der Ausdruck „ein- 
heitlich“ in der Reichsverfassung nicht bloß von dem Heer und der Kriegsmarine, 
sondern auch im Art. 54 von der Handelsmarine, im Art. 48 vom Post- und Tele- 
graphenwesen, im Art. 42 von den deutschen Eisenbahnen, also von Anstalten und 
Einrichtungen von gänzlich verschiedenem staatsrechtlichen Charakter gebraucht. 
Sehr zutreffend äußert sich hierüber Brockhaus.a.a. O. S. 7fg. selbst; er kommt 
zu dem Ergebnis, daß „das Wort ‚einheitlich‘ nur die unsichere und vollkommen 
überflüssige Andeutung einer juristisch gar nicht verwertbaren Eigenschaft enthält“, 
und daß „die Verfassung gerade so viel und gerade so wenig gesagt hätte, wenn sie 
sowohl im Art. 53, Abs. 1 wie im Art. 63, Abs. 1 das Beiwort ‚einheitlich‘ weggelas- 
sen hätte“. Arndt, Staatsrecht S. 452 und andere Schriftsteller rechtfertigen die 
Bezeichnung „einheitlich“ mit dem Oberbefehl des Kaisers. Ueber das Wort zu 
streiten, hat keinen Wert; nur darf man nicht wie Arndt und die anderen angeführ- 
ten Schriftsteller falsche Schlüsse aus einer falschen Bedeutung des Wortes ziehen. 
Uebrigens ist dieses Argument Arndts schon vor dem Erscheinen seines Staatsrechts 
in schlagender Weise widerlegt worden von Gümbela.a. O0. Die Frage, ob das
	        
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