$ 106. Die gesetzliche Wehrpflicht. 137
können auf Anordnung des Kaisers die Mannschaften im aktiven
Dienste zurückbehalten werden. Eine solche Zurückbehaltung zählt
für eine Uebung im Sinne des Wehrgesetzes vom 9. November 1867
8 6').
Zum Dienst in der Marine ist die gesamte seemännische Be-
völkerung des Reichs ?), einschließlich des Maschinenpersonals und
der Schiffshandwerker, verpflichtet, dagegen vom Dienste im Landheere
befreit. Reichsverfassung Art. 53 Abs. 4. Die Vorschriften über den
Dienst im Heere finden entsprechende Anwendung auf den Dienst in
der Marine; der Landwehr I. und II. Aufgebots entspricht die Seewehr
I. und II. Aufgebots. In einigen Punkten bestehen hinsichtlich der
Dienstverpflichtung Abweichungen’).
4. Die Wehrpflicht an sich erzeugt keine subjektive Verpflichtung
zu einer bestimmten militärischen Dienstleistung; eine solche
Verpflichtung entsteht erst durch den hinzukommenden Befehl des
Staates in jedem einzelnen konkreten Fall; die allgemeine Wehr-
pflichtistnur der Inbegriffderjenigen gesetzlichen
Voraussetzungen, bei deren Vorhandensein der Be-
fehl der Staatsbehörden zur Leistung von Militär-
diensten mitrechtlicher KraftundGültigkeiterlas-
sen werden kann. Unter Befreiung von der Wehrpflicht ist dem-
nach nicht zu verstehen die tatsächliche Nichteinforderung von Mili-
tärdiensten von jemandem, z. B. wegen geistigen oder körperlichen Gebre-
chens, wegen Unabkömmlichkeit usw., sondern sie bedeutet die Exemtion
von jener Rechtspflicht, d.h. den Satz, daß der Staat Militärdienste
von dem Befreiten nicht verlangen, ihn zur Leistung derselben nicht
zwingen darf. Eine solche Befreiung ist im Wehrgesetz $1 zu-
gestanden:
a) den Mitgliedern regierender Häuser,
b) den Mitgliedern der mediatisierten, vormals reichsständischen
und derjenigen Häuser, welchen die Befreiung von der Wehrpflicht
durch Verträge zugesichert ist oder auf Grund besonderer Rechtstitel
zusteht.
Befreit von der Wehrpflicht sind ferner:
c) die vor dem 1. Januar 1851 geborenen Angehörigen von Elsaß-
Lothringen *), was nicht mehr von Bedeutung ist, sowie die von der
Insel Helgoland herstammenden Personen und ihre vor dem 11. Au-
gust 1890 geborenen Kinder >).
1) Reichsgesetz vom 15. April 1905, Art. IL, 81.
2) Soweit die seemännische Bevölkerung zur Deckung des Ersatzbedarfs nicht
ausreicht, wird der Bedarf aus der halbseemännischen Bevölkerung und eventuell aus
der Landbevölkerung gedeckt. Welche Personen zur seemännischen und halbsee-
männischen Bevölkerung gehören, ist in der Wehrordnung $ 23 bestimmt.
3) Wehrgesetz 8 13. Gesetz vom 11. Februar 1888, 820 ff. Wehrordnung $ 14 ff.
4) Gesetz vom 23. Januar 1872, $ 2; Gesetz vom 11. Februar 1888, $S 34.
5) Reichsgesetz vom 15. Dezember 1890, 8 3 (Reichsgesetzbl. S. 207).