$ 97. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches. 49
eigenmächtig umzuändern. Dies aber sind die mit der Erklärung des
Kriegszustandes eintretenden, in 8 4, 6 und 7 des Gesetzes erwähnten
Rechtsfolgen. Kein Festungskommandant und kein kommandierender
General dürfte einem derartigen Befehle nachkommen, wenn er ihm
nicht vom Kaiser erteilt ist, oder gar gegen den Willen des Kaisers.
Sodann sind die Regierungen der Einzelstaaten nicht befugt, Reichs-
gesetze eigenmächtig aufzuheben oder umzuändern; die Erklärung
des Belagerungszustandes hat aber eine zeitweise Veränderung des
Strafgesetzbuchs, und sofern Kriegsgerichte eingesetzt werden,
auch des Gerichtsverfassungsgesetzes und der StrafprozeBordnung zur
Folge. Das Einführungsgesetz zum Reichsgesetzbuch 8 4 bedroht die
dort aufgeführten Verbrechen nur dann mit dem Tode, »wenn sie in
einem Teile des Bundesgebietes, welchen (der Bundesfeldherr)
der Kaiser in Kriegszustand (Art. 68 der Verfassung) erklärt hat,...
begangen werden«. Einem Landesherrn steht es demnach nicht zu,
die im $ 4 cit. enthaltenen Normen in Geltung zu setzen. Der Art. 68
der Reichsverfassung ermächtigt den Kaiser allein zur zeitweiligen
Suspension des bestehenden Rechts, insbesondere auch der Reichs-
gesetze; folglich haben die Regierungen der Einzelstaaten dieses Recht
nicht. Völlig unrichtig. ist es, wenn v. Mohl sich darauf beruft, daß
die Bundesfürsten nach Art. 66 der Reichsverfassung das Recht haben,
die in ihren Ländergebieten dislozierten Truppen zu polizeilichen
Zwecken zu requirieren. Die »Requisition« ist in allen Beziehungen
das Gegenteil des Kriegszustandes; die Truppen schreiten hier nur
auf Erfordern der Zivilbehörde und zu ihrer Unterstützung ein, beim
Kriegszustand dagegen ist der Militärbefehlshaber der Herr, er requi-
riert die Zivilbehörden und erteilt ihnen Anordnungen, wenn er ihrer
Hilfe bedarf. Die Requisition zu polizeilichen Zwecken setzt die
Fortdauer des gemeingültigen Rechtes voraus, der Kriegszustand ist
die zeitweise Aufhebung desselben. Die Reichsverfassung unterscheidet
daher mit gutem Grunde, wenn sie im Art. 66 den Bundesfürsten das
Recht zur Requisition von Truppen, dagegen im Art. 68 dem Kaiser das
Recht zur Erklärung des Kriegszustandes zuschreibt und es ist gerade
aus dieser Unterscheidung der Schluß gerechtfertigt, daß die Bundes-
fürsten das im Art. 68 erwähnte Recht nicht haben.
3. Alles, was im Vorstehenden über die Verhängung des Kriegs-
zustandes ausgeführt worden ist, findet auf Bayern keine Anwen-
dung. Daß der Kaiser im Frieden Bayern nicht in den Belagerungs-
zustand versetzen kann, folgt schon aus dem Ausschluß des Ober-
befehls des Kaisers über die bayerische Armee in Verbindung mit dem
Ausschluß des Rechts, andere Truppen nach Bayern zu dislozieren;
aber auch für den Fall des Krieges ist dieses Recht dem Kaiser nicht
eingeräumt. Nach dem Vertrage vom 23. November 1870 und der
Schlußbestimmung zum XI. Abschnitt der Reichsverfassung ist die
Anwendung des Art. 68 der Reichsverfassung auf Bayern unbedingt