532 $ 128. Bedeutung und Feststellung des Haushaltsetatsgesetzes.
jährlich in sein Belieben gestellt sein kann, die Fortgeltung der Reichs-
gesetze und die Fortdauer der Reichsinstitute zu genehmigen oder zu
unterdrücken !). Es folgt demgemäß aus diesem Prinzip der Rechts-
satz, daß das Ausgabenbewilligungsrecht des Reichstages ?) durch die
bestehenden Reichsgesetze und Institutionen gebunden und beschränkt
ist, und daß Ausgaben, welche zur Durchführung und Aufrechterhal-
tung derselben erforderlich sind, von ihm nicht verweigert werden
dürfen. Dieser Rechtssatz ist auch in einer speziellen Beziehung durch
die Reichsverfassung ausdrücklich sanktioniert worden, nämlich durch
Art. 62, Abs. 4:
»Bei der Feststellung des Militär-Ausgabeetats wird die auf Grund-
lage dieser Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des
Reichsheeres zugrunde gelegt.«
Es ist dies keine Ausnahmebestimmung zugunsten des
Militäretats, so daß bei der Feststellung der übrigen Ausgabenetats die
gesetzlich feststehende Organisation der Reichsinstitutionen unberück-
sichtigt bleiben könnte; sondern es ist nur für den praktisch wichtig-
sten, polititisch und finanziell hervorragendsten Teil des Etats das
allgemeine Prinzip ausdrücklich als anwendbar erklärt worden’).
Der Etat ist nicht ein Organisationsgesetz des ganzen Reiches für
je ein Jahr, sondern ein Wirtschaftsplan; er setzt also eine gesetzlich
feststehende Organisation als feste Grundlage voraus.
Die Ausgaben zerfallen mithin hinsichtlich des Bewilligungsrechts
des Reichstages in zwei Kategorien, die man etwa als willkürliche und
notwendige im staatsrechtlichen Sinne bezeichnen kann.
Die ersteren dürfen von dem Reichstage nach Belieben verweigert
werden, und ihre Genehmigung hat den Charakter einer wirklichen
1) Ueber diesen Grundsatz sind fast alle deutschen Staatsrechtsschriftsteller ein-
verstanden. Vgl. Zöpfl, Staatsrecht Bd. 2, $ 399; Zachariä, Staatsrecht II, $ 222
(S. 515), und in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1871, S. 362 ff.; v. Gerber,
Grundzüge 850, 51, und im Literarischen Zentralbl. 1871, Sp. 61fg.; v. Mohl, Würt-
tembergisches Staatsrecht I, 8 109, S. 624; mein Budgetrecht, S. 11—14; Ernst Meier
in v. Holtzendorffs Enzyklopädie I, S. 846; v. Bar, Im Neuen Reich 1871, S. 48 ff.;
Beseler in den Preuß. Jahrbüchern Bd. 33, S. 589 ff. Ferner besonders Gneist,
Gesetz und Budget S. 166 ff.; Herm. Schulze in Grünhuts Zeitschrift II, S. 190 ff.,
und Lehrbuch des deutschen Staatsrechts I, $ 208; G. Meyer, Staatsrecht $ 205 u. 209,
und in Grünhuts Zeitschr. VIII, S. 48 ff.; Seydel, Kommentar, S. 395; Jellinek,
im Handwörterbuch der Staatswissenschaften Bd. 6, S. 1176. Auch v. Martitz, S. 66,
kommt im Resultat im wesentlichen auf das gleiche hinaus. Ueber die neueste
staatsrechtliche Literatur siehe die Erörterung unten im „Anhang“.
2) Was hier vom Reichstage ausgeführt ist, gilt in gleicher Weise auch vom
Bundesrat.
3) Auch das Flottengesetz vom 14. Juni 1900, 8 5, erkennt dieses Prinzip
an, indem es bestimmt, „die Bereitstellung der zurAusführung dieses Ge-
setzes erforderlichen Mittel unterliegt der jährlichen Festsetzung durch
den Reichshaushalts-Etat“. Vgl. auch das (aufgehobene) Flottengesetz vom 10. April
1898, 82,5, 7. Vgl. femer Reichsschuldenordnung 88 und hinsichtlich der
Schuldentilgung das Reichsgesetz vom 3. Juni 1906, $ 4, Abs. 2,