8 129. Die Wirkungen des Etatsgesetzes. 537
dem gesetzlich festgestellien Haushaltsetat zukommen. Dieselben sind
daher auf wissenschaftlichem Wege aus der juristischen Natur des
Etats herzuleiten. Hier treten nun die praktischen Konsequenzen des
Satzes, daß der Etat, obgleich er formell in derselben Art wie ein Ge-
setz festgestellt wird, dennoch materiell kein Gesetz, sondern ein Wirt-
schaftsplan ist, zutage. Der Etat enthält keine Rechtsregel, keinen
Befehl und kein Verbot, sondern nur Zahlen von höchst verschie-
denartiger Bedeutung, welche nur in dem einen Punkt miteinander
zusammenhängen, daß sie die Finanzwirtschaft des Reiches betreffen
und in ihrer Gesamtheit dieselbe darstellen. Es ist daher auch zu
unterscheiden zwischen den Wirkungen, welche der Haushaltsetat als
Ganzes hat, und welche sich an die einzelnen Positionen knüpfen.
I. Der Reichshaushaltsetat als Ganzes ist das von den höchsten
Organen der Reichsgewalt festgestellte Programm der Reichs-
verwaltung. Seine Bedeutung reicht über die Sphäre des Finanz-
wesens weit hinaus. Die wirtschaftliche Ordnung des Staatshaushalts
könnte auch erreicht werden, wenn man für jeden Verwaltungszweig
der Regierung ein Pauschquantum zuwiese oder gar in einer einzigen
Gesamtsumme die Geldmittel, welche der Regierung zur Verfügung
gestellt werden sollen, bewilligte; solche, nach dem Belieben der Re-
gierung zu verwendende Pauschsummen sind aber weit davon ent-
fernt, ein Budget zu bilden'). Bei der Aufstellung des Haushaltsetats
ist die Tendenz nicht lediglich auf die finanzielle Ordnung gerich-
tet; die Prüfung beschränkt sich nicht darauf, ob die Einnahmen es
die Einrichtung und die Befugnisse des Rechnungshofes vorgelegt, welcher einige
darauf bezügliche Bestimmungen enthielt (Drucksachen des Reichstages 1872, Nr. 10).
Ueber denselben kam ein Einverständnis zwischen Bundesrat und Reichstag nicht
zustande, und zwar zum großen Teil wegen der hinsichtlich des materiellen Etats-
rechts bestehenden Verschiedenheit der Ansichten. Um diese Hindernisse zu be-
seitigen, wurde dem Reichstage im Jahre 1873 ein Gesetzentwurf betreffend
die Verwaltung derEinnahmen undAusgaben desReiches(Druck-
sachen Nr. 116) vorgelegt, der aber nicht zur Erledigung kam. Auch in den folgen-
den Jahren bis zur Session von 1877 wurden die Gesetzentwürfe über den Rechnungs-
hof und über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben des Reiches dem Reichs-
tage wiederholt vorgelegt, jedoch ohne Erfolg. Kritische Bemerkungen zu diesem
Entwurf nebst Gegenvorschlägen hat Joöl in Hirths Annalen 1895, S. 81 ff. ver-
öffentlicht. Auch das Kontrollgesetz vom 21. März 1910 (siehe unten $ 131) enthält
darüber nichts.
1) Dem Finanzrecht mancher außerdeutschen Staaten liegt eine derartige
Auffassung zum Teil zugrunde. Die gesamten Einnahmen des Staats stehen alsdann
zur Verfügung der Volksvertretung; die letztere erteilt den Ministern für die Be-
dürfnisse ihrer Ressorts, oder in näherer Spezialisierung für gewisse besondere Aus-
gaben, einen „Kredit“ und weist zur Deckung desselben einen entsprechenden Be-
trag aus den Einnahmen an (Appropriation). Dem preußischen Budgetrecht und dem
auf demselben beruhenden Budgetrecht des Deutschen Reiches sind derartige Ein-
richtungen und Rechtsvorstellungen völlig fremd. Weder der Etat im ganzen noch
die einzelnen Positionen desselben sind „Kredite“, welche der Reichstag den Ver-
waltungen gewährt. Reichstag und Reichsverwaltung stehen sich nicht als Gläubiger
und Schuldner gegenüber.