Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

540 8 129. Die Wirkungen des Etatsgesetzes. 
Hiernach ist beim Etatsgesetz wie bei allen anderen Gesetzen zu 
unterscheiden zwischen der materiellen Wirkung und der formellen 
Gesetzeskraft: 
1. Die materielle Wirkung besteht in der im vorauser- 
teilten Entlastung der Regierung von der Verantwort- 
lichkeit gegen Bundesrat und Reichstag, insoweit die Regierung bei 
der Führung der Verwaltung den Ansätzen des Etats gemäß verfährt!); 
dagegen muß sie alle Abweichungen nicht nur nachweisen, sondern 
auch begründen und, soweit diese Abweichungen auf ihrem Willen 
beruhen, trägt sie die Verantwortung für dieselben so lange, bis sie 
die Genehmigung des Bundesrats und Reichstags nachträglich da- 
für erlangt. 
2. Die formelle Gesetzeskraft des Etatsgesetzes ist ganz die- 
selbe wie bei allen anderen Gesetzen (siehe Bd. 2, 8 57). Sie besteht 
darin, daß das Etatsgesetz auf keine andere Art als im Wege der Ge- 
setzgebung aufgehoben oder verändert werden kann, daß also weder 
der Bundesrat noch der Reichstag die erteilte Zustimmung einseitig 
zurücknehmen, modifizieren, einschränken oder ausdehnen oder an 
Bedingungen knüpfen können. 
III. Niemals kann der Etat in dem Sinne festgestellt werden, daß 
Abweichungen von ihm überhaupt nicht vorkommen dürfen. Da er 
sich auf die Zukunft bezieht, so kann seine Feststellung nur mit dem- 
jenigen Grade der Sicherheit erfolgen, mit welchem man die Zukunft 
vorhersehen und vorherbestimmen kann. Gerade in finanzieller Hin- 
sicht ist seine bindende Kraft am geringsten, da die Höhe der Aus- 
gaben und Einnahmen zum großen Teil von tatsächlichen Verhält- 
nissen bedingt ist, die teils nicht vom freien Willen abhängen, teils 
nicht mit Sicherheit vorher erkannt werden können. Aber auch die 
materiellen Gründe und Zwecke der Ausgaben lassen sich nicht mit 
1) Deshalb ist es unrichtig, das Etatsgesetz als eine Instruktion der Be- 
hörden zu bezeichnen, wie dies von Arndt, Prazäk u. a. geschehen ist. Selbst Seydel, 
Kommentar, S. 387, nennt den Etat einmal einen Dienstbefehl. Einen Dienstbefehl 
können die Reichsbehörden nur vom Reichskanzler und dieser vom Kaiser erhalten, 
nicht von Bundesrat und Reichstag. Das Etatsgesetz bezieht sich nicht auf das Ver- 
hältnis der Reichsbehörden zum Kaiser, sondern auf die Verantwortlichkeit der 
Reichsregierung gegen Bundesrat und Reichstag. Die Instruktion, welche für 
die Reichsbehörden als Dienstbefehl für ihre finanzielle Verwaltung wirkt, erhalten 
die Behörden vielmehr auf Grund des Etatsgesetzes in den sogenannten Spezialetats, 
Kassenetats, Behördenetats. Der Reichskanzler ist für die Beobachtung des Etats- 
gesetzes dem Bundesrat und Reichstag, die ihm untergeordneten Verwaltungsbe- 
hörden sind für die Beobachtung der ihnen dienstlich vorgeschriebenen Kassenetats 
(Spezialetats) dem Reichskanzler verantwortlich. Die allgemeine Anordnung, dem 
Etatsgesetz gemäß zu verwalten, ist allerdings ein Dienstbefehl oder Verwaltungs- 
befehl, sie hat aber ihre letzte Quelle nicht im Etatsgesetz, sondern in den 
verfassungsmäßigen Befugnissen des Kaisers. Vgl. über die Kassenetats im 
Gegensatz zum Staatshaushaltsetat das preuß. Gesetz vom 11. Mai 1898, $ 10 fl. 
O. Schwarz, Formelle Finanzverwaltung in Preußen und im Reich. Berlin 1907.
	        
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