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aufheben können. Es würde vielmehr in einem solchen Falle die Ge-
nehmigung des Reichstages zur Etatsüberschreitung des einen Jahres
einzuholen, und andererseits die entsprechende Minderausgabe des fol-
genden Jahres zu seiner Kenntnis zu bringen sein, in keinem Falle
aber eine derartige Pseudo-Vorschußverwaltung durch mehrere Jahre
fortgeführt werden dürfen. Wenn dagegen für Bedürfnisse des folgen-
den Jahres bereits vorsorgliche Abhilfe geschaffen und dafür eine
Zahlung a conto des Etats des folgenden Jahres geleistet wird, so ist
dies eine mit den Regeln des Budgetrechts vereinbare Vorschußver-
waltung, die nicht den finanziellen Wirtschaftsplan, sondern bloß das
Kassen- und Abrechnungswesen berührt. Es darf demnach eine Vor-
schußleistung nur bei solchen Kassen vorkommen, welche mit Be-
ständen abschließen dürfen, und es sind die vorhandenen
Bestände als Aktiva in einer den geleisteten Vorschüssen entsprechen-
den Höhe nachzuweisen, so daß die Vorschüsse rechnungsmäßig nicht
als Mehrausgaben erscheinen‘). Eine derartige Vorschußverwaltung
kommt namentlich in ausgedehntem Maße bei der Armeeverwaltung
vor, welche in billigen Jahren Naturalien-Reservevorräte zum Zweck
der Truppenverpflegung ansammelt und sie in Teurungsjahren mit zur
laufenden Konsumtion zieht und dann bei günstiger Konjunktur wieder
ergänzt oder vermehrt’). Ueberdies muß freilich die Gefahr dafür
übernommen werden, daß der Etat des folgenden Jahres für das frag-
liche Verwaltungsbedürfnis auch in der Tat einen Betrag auswerfen
wird, was aber bei den fortdauernden Ausgaben keinem Bedenken
unterliegt.
Auch diese Beschränkungen können übrigens durch ausdrückliche
Anordnungen des Etatsgesetzes aufgehoben und die Ueberschreitung
des etatsmäßigen Betrages des einen Jahres kann a conto der Etats-
summe des folgenden Jahres gestattet werden.
S 130. Die Verwaltung ohne Etatsgesetz’).
I. Trotzdem Art. 69 der Reichsverfassung mit apodiktischer Be-
stimmtheit sagt, daß der Reichshaushaltsetat vor Beginn des Eitats-
jahres durch ein Gesetz festgestellt wird, so ist doch die Möglichkeit
nicht ausgeschlossen, daß das Etatsgesetz tatsächlich vor Beginn des
Etatsjahres nicht zustande kommt. Der Grund für den Eintritt einer
solchen Eventualität kann darin liegen, daß die Uebereinstimmung des
Bundesrats und des Reichstags über den Inhalt des Etatsgesetzes nicht
zu erzielen ist; denn die Reichsverfassung kennt kein rechtliches Mit-
1) Vgl. Instruktion für die Oberrechnungskammer vom 18. Dezember 1824, $ 23.
2) Vgl. Drucksachen des Reichstages 1872, Nr. 143, S. 7.
3) Franz Bischofswerder, Die Staatsverwaltung bei Nichtzustande-
kommen des Etatsgesetzes nach preußisch-deutschem Staatsrecht. Borna-Leipzig
1913. ‘