Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

550 8 130. Die Verwaltung ohne Etatsgesetz. 
tel, welches die Herstellung übereinstimmender Majoritätsbeschlüsse 
der beiden Organe des Reiches sicherstellt. Das Hindernis kann aber 
auch dadurch gegeben sein, daß die Beschlußfassung der beiden Kör- 
perschaften nicht rechtzeitig erfolgt, so daß zwar begründete Aussicht 
auf Vereinbarung des Etatsgesetzes vorhanden ist, die Feststellung und 
Verkündigung desselben aber nicht vor Beginn des Etatsjahres sich 
ermöglichen läßt. Auch im letzteren Falle ist die Reichsregierung für 
einen Teil des Etatsjahres in der Lage, ohne Etatsgesetz die Verwal- 
tung führen zu müssen. Die Reichsverfassung hat nicht angegeben, 
welche Rechtsgrundsätze in einem solchen Falle Platz greifen; die letz- 
teren müssen daher auf wissenschaftlichem Wege aus allgemeinen 
Rechtsprinzipien hergeleitet werden. 
Es ist nicht zu bestreiten, daß die Verwaltung der Einnahmen und 
Ausgaben des Reiches ohne Etatsgesetz der Reichsverfassung, d.h. dem 
in derselben als regelmäßig vorausgesetzten und angeordneten Zustande 
widerspricht, und man kann es dabei als unerheblich auf sich 
beruhen lassen, ob ein solcher Zustand als »verfassungswidrig« oder 
als ein »anomaler« zu bezeichnen sei. Wesentlich ist nur, daß man 
zwei Punkte nicht übersieht; nämlich erstens, daß die Verfassung keine 
ausreichende Sicherheit geschaffen hat, um das Eintreten eines solchen 
Zustandes unmöglich zu machen und die etatslose Verwaltung aus- 
zuschließen, und zweitens, daß die Frage nach den Rechtssätzen, welche 
im Falle des nicht rechtzeitigen Zustandekommens des Etats Platz 
greifen, ganz unabhängig davon beantwortet werden muß, wen die 
Schuld an dem Nichtzustandekommen trifft. Eine solche Schuld im 
subjektiven Sinne braucht überhaupt nicht vorzuliegen; bei gewissen- 
haftester Beobachtung aller staatsrechtlichen und politischen Pflichten 
kann der Fall eintreten, daß Bundesrat und Reichstag über den Etat 
zu übereinstimmenden Mehrheitsbeschlüssen nicht gelangen, oder nicht 
rechtzeitig gelangen, und falls in der Tat ein Verschulden obwaltet, so 
kann dasselbe ebensowohl auf seiten des Reichstags oder auf seiten 
des Bundesrats wie auf seiten der Reichsregierung (des Reichskanzlers) 
liegen. Es kann daher nur irreführend sein, wenn man den tatsäch- 
lichen Zustand, daß ein Etatsgesetz nicht vorhanden ist, als eine »Ver- 
fassungs verletzung« bezeichnet, da in diesem Worte stets das Mo- 
ment subjektiven Verschuldens mit enthalten ist; eine solche Aus- 
drucksweise kann leicht dazu verleiten, das Vorhandensein einer sub- 
jektiven Schuld zu subintelligieren und durch diese Vorstellung die 
unbefangene Würdigung der Verhältnisse zu beeinflussen. Die Frage 
muß vielmehr ganz objektiv gestellt und beantwortet werden: Welche 
Rechtsregeln gelten für die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben 
des Reiches, wenn bei Beginn des Etatsjahres das im Art.69 der Reichs- 
verfassung vorgeschriebene Etatsgesetz nicht vorhanden ist? 
In der Praxis des Reiches hat man, wenn ein solcher Fall ein- 
trat, eine Aushilfe dadurch geschaffen, daß man den Etat der abge-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.