570 $ 131. Die Rechnungskontrolle und Entlastung der Verwaltung.
die Genehmigung des Kaisers zum Erlaß (Niederschlagung) einer Ein-
nahme, welche nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften zu erheben
ist, oder zur Leistung einer Ausgabe, welche nach den bestehenden
Vorschriften von den Behörden nicht geleistet werden soll. Haupt-
anwendungsfälle sind Erlasse von Steuern, Gebühren oder Konventional-
strafen; Verzichte auf die Rückerstattung einer aus Irrtum oder ohne
Rechtsgrund geleisteten Zahlung; Niederschlagung von Ersatzansprüchen;
Gewährung von Unterstützungen, Beihilfen, Entschädigungen in Fällen,
in denen es an einem gesetzlichen Anspruch darauf fehlt. Es handelt
sich also um Liberalitätshandlungen, um Gnadenakte '). Während
aber das Begnadigungsrecht den Erlaß von gerichtlich erkannten Strafen
betrifft, beziehen sich die justifizierenden Kabinettsordres ausschließlich
auf Verwaltungsangelegenheiten. Daher scheidet der Erlaß von Ver-
mögensstrafen, sowohl Geldstrafen, wie Konfiskationen, aus dem Kreise
dieser Erörterung völlig aus.
Durch den Kaiserlichen Erlaß wird selbstverständlich der Reichs-
kanzler dem Kaiser gegenüber entlastet; dagegen nicht dem Bundes-
rate und Reichstage gegenüber. Der Rechnungshof ist nach 8 18 des
Gesetzes vom 27. März 1872 »unter selbständiger unbedingter Verant-
wortlichkeit« verpflichtet, alle Fälle dieser Art, mag die kaiserliche
Genehmigung bereits erteilt oder noch einzuholen sein, zur Kenntnis
des Bundesrats und Reichstags zu bringen, welchen die Entscheidung
darüber zusteht, ob ihrerseits die Entlastung zu erteilen oder zu ver-
sagen sel.
l. Was nun zunächst die Frage anlangt, ob solche Kabinettsordres
überhaupt zulässig seien, so kann die Ansicht nicht für zu-
treffend angesehen werden, daß die in Preußen geltenden Grundsätze
auch für die Reichsverwaltung Anwendung finden müssen, weil die
für die Prüfung der preußischen Staatshaushaltsrechnung geltenden
Vorschriften auf die Rechnungen des Reichshaushalts ausgedehnt worden
sind *). Denn es handelt sich hier nicht eigentlich um Regeln über
die Rechnungsprüfung und Entlastung, sondern um kaiserliche
Machtbefugnisse, welche nur bei Gelegenheit dieser Prüfung und
Entlastung in Betracht zu ziehen sind °). Insbesondere ist es unrich-
tig, diejenigen Bestimmungen der Instruktion vom 18. Dezember 1824,
in welcher zu gewissen Verfügungen die Genehmigung des Königs
erfordert wird, als Rechtssätze anzusehen, durch welche das Recht des
l) vgl. Jo&1 S. 808.
2) Dies ist die Ansicht vonJo&l S. 830.
3) Aus demselben Grunde kommen in Elsaß-Lothringen, dessen Staats-
rechnungen nach denselben Grundsätzen wie die des Reiches geprüft werden, nicht
die Regeln des preußischen, sondern die des französischen und elsaß-lothringischen
Landrechts über die Befugnisse des Staatsoberhaupts zu administrativen Gnaden-
akten zur Anwendung. Die Ausübung dieser Befugnis wird dem Kaiserl. Statthalter
übertragen. Reichsgesetzbl. 1914, S. 125, Ziff. 2.