586 Anhang. Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht.
Ministerium die Befugnis zur Leistung von Ausgaben beigelegt wird, bei
konsequenter Durchführung die Folge haben, daß mit dem Wechsel des
Ministeriums das bereits erlassene Budgetgesetz seine Kraft verliert und
dem neu berufenen Ministerium von neuem votiert werden müßte. Wel-
chen Sinn würde die ganze Ausgabenbewilligung zugunsten »des am
Ruder befindlichen« Ministeriums haben, wenn am Tage nach der Be-
schlußfassung das Ministerium entlassen und durch ein Ministerium
von entgegengesetzter Parteistellung ersetzt werden kann?').
V.
Von einem ganz entgegengesetzten Standpunkt aus betrachtet
v. Martitz in seiner Abhandlung »Ueber den konstitutionellen Be-
griff des Gesetzes« (1880) in der Zeitschrift für die gesamte Staats-
wissenschaft Bd. 36 die Bedeutung des Budgetgesetzes. Allerdings war
er nicht immer dieser Meinung. In seinen »Betrachtungen über die
Verfassung des Norddeutschen Bundes«, Leipzig 1868, S. 99, sagt er:
»Es ist ein barer Unsinn, jene Festsetzung, daß der jähr-
liche Voranschlag über die Ausgaben und Einnahmen des Staates
Gesetz sein soll, waser niemals sein kann, niemals ge-
wesen ist, weder in Preußen noch in Belgien, noch in England,
noch in dem vermutlich auf dem Monde liegenden Musterstaate,
der nach allgemeinem konstitutionellem Staatsrecht lebt. Es ist
1) In den Staaten mit Parlamentsherrschaft kann dieses Bedenken nicht erhoben
werden; denn so lange die Partei, welche dem Ministerium „den Kredit“ bewilligt
hat, im Parlament die Majorität bildet, verfügt sie auch über die Ministerstellen. Im
„Staatsrecht des Deutschen Reiches“ (Berlin 1901) hat Arndt seine theoretische
Rechtfertigung des parlamentarischen Rechts der Ministerstürzerei unterdrückt und
sich denjenigen angeschlossen, welche die Bedeutung des Etatsgesetzes darin sehen,
daß es neben der Veranlagung und Feststellung der Einnahmen und Ausgaben der
Regierung die verfassungsmäßig notwendige Ermächtigung zur Leistung der
festgestellten Ausgaben erteilt, während die Regierung zur Erhebung der gesetzlich
begründeten Einnahmen einer besonderen Ermächtigung nicht bedürfe. Hiernach
würde also das Etatsgesetz hinsichtlich der Ausgaben eine ganz andere Bedeutung
haben wie hinsichtlich der Einnahmen. Arndt gibt jedoch hinsichtlich der Rechts-
wirkung des Etatsgesetzes und der einzelnen Etatspositionen, hinsichtlich der Be-
willigungspflicht und des Verweigerungsrechts der Volksvertretung, hinsichtlich der
Bedeutung des Etats für die Rechnungslegung, sowie der Folgen des Nichtzustande-
kommens des Etatsgesetzes eine Darstellung, welche sich in allen wesentlichen
Punkten an meine Ausführungen im Budgetrecht (1871) und in diesem Werk eng an-
schließt. Nur in einer Beziehung gestattet er sich das Vergnügen einer Polemik.
Während ich ausgeführt habe, daß die Regierung für alle nicht etatsmäßigen Aus-
gaben verantwortlich ist, bis diese von der Volksvertretung genehmigt werden, miß-
billigt Arndt dies und sagt statt dessen S. 338: „Der Reichskanzler ist dafür ver-
fassungsmäßig verantwortlich, daß Ausgaben vom Reiche nur auf Grund vorgängiger
oder nachträglicher Bewilligung von seiten des Reichstages geleistet werden.“ Ich
kann nicht finden, worin die praktische Bedeutung dieses Gegensatzes be-
steht, ebensowenig aber begreifen, wie es möglich ist, daß eine Ausgabe aufGrund
einer nachträglichen Bewilligung geleistet werden kann. Und dafür sollte
der Reichskanzler verantwortlich sein !?