Anhang. Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht. 591
und modifizieren die daselbst gegebene Anordnung der »jährlichen«
Bewilligung. Ich will auf diese Art der Bbeweisführung keineswegs
entscheidendes Gewicht legen und sie für die richtige Lösung der
Kontroverse ausgeben; aber bevor man dem preußischen und deut-
schen Staatswesen ein den Bestand aller staatlichen Einrichtungen mit
jedem Jahr in Gefahr bringendes und die Existenz der Staatsordnung
auf das Spiel setzendes Budgetrecht zuschreibt, bedarf es einer weit
sorgfältigeren Untersuchung, ob sich die Sache wirklich so verhält,
wie sie Zorn dargestellt hat. Mag er noch so oft und lebhaft ver-
sichern, daß seine Ansicht die richtige sei: bevor er sie nicht besser
erwiesen hat, halte ich das von ihm der preußisch-deutschen Verfas-
sung angedichtete Budgetrecht für ein bloßes Schreckgespenst, das ver-
schwindet, wenn man es scharf und vorurteilslos betrachtet.
v1.
Die von v. Martitz und Zorn gelassene Lücke sucht Hänel
in seiner Monographie: »Das Gesetz im formellen und materiellen
Sinne<, Leipzig 1888 (Studien zum Deutschen Staatsrecht II, 2) aus-
zufüllen, indem er-mit großer Ausführlichkeit den Beweis zu erbringen
versucht, daß das preußisch-deutsche Verfassungsrecht in der Tat die
alljährliche gesetzliche Ermächtigung der Regierung zur Leistung
von Ausgaben erfordert. In der kritischen Würdigung dieses Systems
steht er freilich auf einem entgegengesetzten Standpunkt wie v. Mar-
titz und Zorn; er ereifert sich (S. 292) über das »tendenziöse Zerr-
bild von dem französisch-belgischen Budgetrecht, welches man zur
Abschreckung entworfen hat«, kommt aber — wie wir sehen werden
— zu einer Ansicht vom preußisch-deutschen Budgetrecht, welches
jenem »Zerrbild« ähnlich ist wie ein Ei dem anderen.
Der weitaus größte Teil (194 Seiten) der Monographie Hänels
ist dem Begriff des Gesetzes im formellen und materiellen Sinne ge-
widmet. Auf eine Erörterung aller Einzelheiten kann ich hier nicht
eingehen, sondern ich glaube mich auf die Hauptpunkte beschränken
zu dürfen. Es ist bereits von Lewald') und von G. Anschbütz?)
in durchaus zutrefiender und unwiderleglicher Weise der Circulus
vitiosus klar gelegt worden, in welchem sich Hänel bewegt. Hänel
stellt den Satz auf, daß alles, was in Form des Gesetzes gekleidet ist,
ein Rechtssatz sei, und gelangt dann sehr natürlicherweise zu dem
Schluß, daß jedes Gesetz zu dem ihm notwendigen Inhalt einen Rechts-
satz habe. Er behauptet S. 160, daß in der Form des Gesetzes nur
»darstellbar« sei, »was Nachachtung und Gehorsam heischt«, und er
fügt hinzu, »daß er von der Schwelle seiner rechtlichen Betrachtungen
zurückweise einen Begriff des Gesetzes, in welchem Sinne er auch
1) InSchmollers Jahrb. Bd. 14, S. 281 ff. (1889).
2) G. Anschütz, Krit. Studien S. 20 fg. und besonders S. 42 ff.