Anhang. Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht. 593
lung von Rechtsregeln keineswegs auf Unverstand oder Bosheit zu
beruhen braucht, sondern — wie Bd. 2, S. 62 fg. dargetan worden ist
— sehr gute Gründe für sich haben kann. Dahin gehört insbesondere,
daß sich die Regierung durch Beschreitung des Gesetzgebungsweges
von ihrer Verantwortlichkeit entlastet, ein Punkt, der gerade
auch beim Budgetgesetz von besonderer Wichtigkeit ist (siehe oben
S. 538 fg.).
Auch Hänel kommtaufdie Verantwortlichkeit zu sprechen; aber
freilich in durchaus anderer Art. Er verlangt »aus seiner Grundan-
schauunge, daß die Volksvertretung der rechtliche Trä-
ger aller der Verantwortlichkeitsverhältnisse sei,
welche sich an alle Akte der Staatsgewalt, wenn sie zugleich ver-
pflichtet sein soll, knüpfen müssen; »aus dieser Grundanschauung
heraus sei die Volksvertretung berufen zur Mitwirkung an der Gesetz-
gebung, als der im eminenten Sinne souveränen Willensbildung des
Staates« (S. 157). Diese »Grundanschauung« scheint sehr unklar und
in ihren Konsequenzen unübersehbar zu sein. Was es aber heißen
soll, daß die Volksvertretung der rechtliche Träger der Verant-
wortlichkeit sei, ist schlechterdings unergründlich. Denn nichts ist für
die Volksvertreter charakteristischer als ihre absolute rechtliche
Unverantwortlichkeit. Weder dem Staatsoberhaupt, noch
ihren Wählern, noch den Gerichten, noch der Regierung gegenüber
sind sie rechtliche Träger irgend einer Verantwortlichkeit, weder als
einzelne noch in ihrer Gesamtheit. Durch die Zustimmung der Volks-
vertretung wird die Regierung von ihrer Verantwortlichkeit en t-
lastet; aber daß die Volksvertretung eine rechtliche Verant-
wortlichkeit trage, ist eine Redewendung, die sich vielleicht als
rhetorische Floskel verwenden läßt, aber keinen Gedanken enthält').
Das Wesen des Gesetzes im konstitutionellen Staate besteht nach
Hänel, der sich hierin ganz an v. Martitz und Zorn anschließt,
ausschließlich in der Gesetzesform, welche »den Rechtsinhalt in sich
trägt«. Dieser Form schreibt er die Kraft zu, alles, was in dieselbe
gekleidet wird, in einen Rechtssatz zu verwandeln. Demgemäß lehrt
er S. 254, »daß durch die Aufnahme einer Vorschrift, welche ihrem
Inhalte nach eine Dienstinstruktion, ein Verwaltungsbefehl, eine Ver-
ordnung im materiellen Sinne sein könnte, in ein Gesetz dieselbe eine
fundamentale Umänderungihrer rechtlichen Natur
erfährt; sie wird Norm des Gesetzgebers und ist in keinem Sinne mehr
Befehl des Inhabers einer Dienstgewalt«. Dieses Dogma von der
Transsubstantiation durch die mystische Wunderkraft der Ge-
setzesform ist der eigentliche Grundstein aller seiner Ausführungen.
1) In einer Reichstagsrede vom 5. April 1886 (Stenogr. Berichte S. 1893) spricht
Hänel sogar davon, daß der Reichstag befugt sei, eine Verantwortlichkeit in An-
spruchzunehmen!!