64 8 99. Die Militärhoheitsrechte der Einzelstaaten.
Nachteile von Allerhöchstdemselben und Seinem Hause und Lande
abzuwenden !').
In der Dienstgewalt ist enthalten das Recht zur dienst-
lichen Verwendung, zur Erteilung eines Kommandos (militä-
rischen Amtes) und zur Versetzung, Beförderung, Entlassung. Diese
Befugnis steht demnach dem Kontingentsherrn in betreff seiner
Offiziere und Militärbeamten innerhalb des Kontingents zu und wird
von den Königen von Preußen, Sachsen und Württemberg, sowie
von dem Könige von Bayern ausgeübt. Ausgenommen sind jedoch
diejenigen Befehlshaberstellen, welche nach Art. 64, Abs. 2 der Reichs-
verfassung vom Kaiser zu besetzen sind. Diese Ausnahme führt
eine Konsequenz mit sich, welche in das Dienstverhältnis der Offiziere
und folglich auch in die Kontingentsherrlichkeit der Bundesfürsten
eingreift. Nach Art. 64, Abs. 3 der Reichsverfassung ist nämlich »der
Kaiser berechtigt, behufs Versetzung mit oder ohne Beförderung für
die von ihm im Reichsdienste, sei es im preußischen Heere
oder in anderen Kontingenten zu besetzenden Stellen aus den Offizieren
aller Kontingente des Reichsheeres zu wählen«e.. Demgemäß ist der
Kaiser befugt, Offiziere aus dem Dienst bei ihrem Kontingentsherrn
auch wider den Willen desselben in den Dienst des Reiches abzurufen °).
Die hierin liegende Anomalie ist aber tatsächlich fast vollständig be-
seitigt. Für das preußische Heer und alle mit demselben ver-
einigten Kontingente fällt sie von selbst fort wegen der Identität des
Dienstherrn und des Kaisers. Auf Bayern ist die Anwendung des
1) Diese Verpflichtung wird übernommen mittelst Reverses in den Kontin-
genten von Hessen (Militärkonvention Art. 4), Baden (Militärkonvention Art. 3, Abs. 4)
und Oldenburg (Militärkonvention Art. 3 a. E.); mittelst Handgelöbnisses in
den Kontingenten der beiden Mecklenburg (Militärkonvention Art. 5), der thürin-
gischen Staaten (Militärkonvention Art. 10, Abs. 2), Braunschweig (Militärkonvention
Art. 5) und Anhalt (Militärkonvention Art. 10). — Nach den Konventionen mit Lippe
und Schaumburg hat der Kommandeur der in Detmold resp. in Bückeburg dis-
lozierten Garnison jenes Gelöbnis mittelst Handschlages oder Reverses abzulegen.
2) Seydel, Kommentar S. 370 bezeichnet diese Offiziere „als Landesbeamte,
die in einem Reichsamte verwendet werden“; dagegen GümbelS. 171 als „Reichs-
beamte“, welche ein Landesamt bekleiden“. Die letztere Ansicht ist zweifellos un-
richtig. Da das Reich keine eigene Militärverwaltung und (abgesehen von den
Schutztruppen) keine anderen Truppen als die Kontingente der einzelnen Bundes-
staaten hat, so sind die Offiziere, auch wenn sie im Reichsdienst verwendet werden,
Landesbeamte; Reichsoffiziere gibt es — außer in der Marine und in den
Schutztruppen — überhaupt nicht. Davon verschieden ist aber die Frage, in wel-
chem (Landes)-Dienste diese Offiziere stehen. Hier sind zwei Fälle mözlich. Sie
können in dem Dienst des Kontingentsherrn bleiben, in welchem sie bisher standen,
und vom Kaiser zur Wahrnehmung der ihnen übertragenen Stelle abkommandiert
werden, oder sie können aus dem bisherigen Dienst in den eines anderen Kontin-
gentslerrn, z. B. des Königs von Preußen, übertreten. Der an sich zu einer Miß-
deutung geeignete Ausdruck „im Reichsdienste* wird in der Reichsverfassung Art. 64,
Abs. 3 selbst definiert durch den Zusatz: „sei es im preußischen Heere oder in an-
deren Kontingenten.“