Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

$S 95. Allgemeine Prinzipien. 5 
Ersparnisse sollen nicht der einzelnen Regierung, welche sie macht, 
sondern dem Bundeskriegsschatze zufallen. Die Wortfassung der gel- 
tenden Reichsverfassung zeigt an vielen Stellen ihre Abstamnıung aus 
jenen Grundzügen vom 10. Juni 1866; die Anordnungen der Reichs- 
verfassung sind zwar sehr viel genauer und vollständiger, in keiner 
Beziehung aber prinzipiell verschieden. 
Als oberstes Prinzip der Militärverfassung des Deutschen Reiches 
ist daher der Satz festzuhalten: Es gibt keinHeer desReiches, 
sondern nur Kontingente der Einzelstaaten. Wenn 
der Art. 63 der Reichsverfassung den Satz an die Spitze stellt: »die 
gesamte Landmacht des Reichs wird ein einheitliches Heer 
bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehl des Kaisers 
steht«, so hat dies einen völlig anderen juristischen Sinn, als wenn 
der Art. 53 der Reichsverfassung sagt: »die Kriegsmarine des Reichs 
ist eine einheitliche unter dem OÖberbefehl des Kaisers«. Die 
Einheit der Kriegsmarine ist eine innere unteilbare, durch Begriff und 
Wesen gebotene, die Reichsarmee dagegen ist eine zusammengesetzte 
Einheit; die »Einheitlichkeit« der Landmacht des Reiches hebt die ge- 
sonderte Existenz der Kontingente der einzelnen Staaten nicht auf, 
sondern sie bedeutet lediglich das Band, welches die verschiedenen 
Kontingente zusammenhält'). Die Einheit ist bei der Marine Konse- 
quenz, bei dem. Heer Modifikation des Grundprinzips.. Die Kontin- 
gente der einzelnen Bundesstaaten werden zum einheitlichen Heer 
zusammengefaßt durch drei, noch näher zu erörternde Einrichtungen, 
nämlich durch den Öberbefehl des Kaisers in Krieg und Frieden, 
durch die völlig übereinstimmende gleichmäßige Organisation, Bewaff- 
nung, Ausbildung usw. und durch die Bestreitung der gesamten 
Kosten aus HReichsmitteln. Die strenge Durchführung dieser drei 
Sätze hat allerdings den Erfolg, daß die aus den Kontingenten der 
Einzelstaaten zusammengesetzte Armee im militärisch - technischen 
Sinne eine einheitliche ist, denn die Heereskörper, aus denen die Ein- 
heit sich kombiniert, sind überall gleichartig; mag dies aber in noch 
so hohem Grade erreicht werden, mögen die verschiedenen Kontin- 
gente militärisch als ununterscheidbare Bestandteile einer durch- 
weg gleichmäßigen Armee erscheinen, staatsrechtlich bleibt der 
(Grundsatz bestehen, daß eine Reichsarmee nicht existiert, sondern daß 
dies nur eine Kollektivbezeichnung ist, um die Kontingente der ein- 
zelnen Bundesstaaten zusammenzufassen ?). 
1) Seydel, Hirths Annalen 1875, S. 1396: „Das deutsche Heer ist nach der 
Verfassung ein Kontingentsheer.* Anschütz S. 621: „Das Kontingentsprinzip bil- 
det in der deutschen Heeresverfassung historisch und logisch die Grundlage, den 
Ausgangspunkt.“ Dambitsch S. 602: „Das Kontingentssystem ist danach diejenige 
staatsrechtliche Form, die der verfassungsmäßigen Regelung des Heerwesens zu- 
grunde liegt.“ 
2) Im Gegensatz zu der hier entwickelten Auffassung haben mehrere Schrift-
	        
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