36 I. Grundbegriffe des allgemeinen Staatsrechtes.
König und Volk ist das Wesen der germanischen Monarchie. Vieles
hat sich im Laufe der Zeiten geändert: die Art des Zusammenwir-
kens, der Kreis derer, die zur staatlichen Mitwirkung berufen sind,
die Abgrenzung des Gebietes, auf welchem die aktive Theilnahme
des Volkes am Staatsleben stattfindet; aber in allen Phasen ist der-
selbe germanische Grundgedanke wirksam, dass der Monarch nicht
alles staatliche Leben absorbiren darf, dass das Volk, auf dem der
Staat, als seinem Substrate, ruht, nicht nur als passiv gehorchende
Masse, sondern als aktıv mıtwirkender Faktor am Staats-
leben betheiligt sein soll. In der verfassungsmässigen Monarchie
ist der König das höchste Glied, das Haupt in der Rechtsordnung
des Staates, aber er steht innerhalb der verfassungsmässigen
Staatsordnung, nicht über derselben. Er ist gebunden an eine
höhere, von seiner Willkür unabhängige Staatsordnung, welche er
nicht brechen darf, ohne den Staat und somit sein eigenes Recht in
Frage zu stellen, er darf die wichtigsten Rechte der Staatsgewalt
nur ausüben unter der 'I[heilnahme von Organen, die in ihrer Sphäre
ebenfalls selbständig sind.
Als Gegensatz der absoluten, unumschränkten Monarchie er-
scheint daher die verfassungsmässige, staatlich geordnete, volks-
thümliche Monarchie, welche nicht als eine Aufhebung oder Her-
absetzung des monarchischen Princips, sondern als eine reicher
gegliederte Organisation der monarchischen Staatsform aufgefasst
werden muss. Was einst in der mittelalterigen Form der aristokra-
tisch und ständisch gegliederten Monarchie einen unvollkommenen
Ausdruck fand, stellt sich in der modernen Form der repräsentativen
und konstitutionellen Monarchie vollendet dar. In der Aneignung
und Durchführung dieses ächt germanischen Staatsgedankens liegt
die wichtigste staatliche Aufgabe unseres Zeitalters. Uebrigens fin-
ddet innerhalb dieser Staatsgattung wieder eine reiche Mannigfaltig-
keit der Verfassungsformen statt, deren bestimmte, historisch gewor-
dene Individualität zu charakterisiren dem besondern Staatsrechte
der einzelnen Staaten überlassen werden muss. Ein konstitutionelles
Staatsrecht für alle Völker und alle Zeiteu bleibt eine inhaltlose
Fiktion. Staatsrechtlich verwerflich und politisch gefährlich ist es,
eine bestimmte Schablone der konstitutionellen Monarchie aufzu-
stellen, nach welcher das positive Staatsrecht der einzelnen Staaten
gemodelt werden soll, aus welcher gewisse sog. konstitutionelle
Forderungen, wie ewige Vernunftwahrheiten, hergeleitet werden
sollen.