5. Von der Reichsgesetzgebung. 119
Während sonst diejenige Person, welche einem Gesetzentwurfe
die Sanktion zu ertheilen hat, regelmässig dasselbe auch zu ver-
kündigen hat, wie der Monarch im konstitutionellen Staate, fallen
beide Befugnisse im deutschen Reiche auseinander. Der liundes-
rath ertheilt die Sanktion, die Ausfertigung und Verkündigung ist
Sache des Kaisers {Artikel 17\. Gerade aus dem Umstande, dass der
Kaiser nicht der Gesetzgeber, ja nicht einmal der Mitschöpfer des
Gesetzes ist, ergiebt sich die Pflicht desselben, den unabhängig
von ihm zu Stande gekommenen Gesetzentwurf auf seine Verfas-
sungsmässigkeit hin zu prüfen. Nicht der Inhalt des Gesetzes, der
selbst gegen seinen Willen zu Stande gekommen sein kann, ist
Gegenstand seiner Prüfung, sondern die verfassungsmässige Ent-
stehungsform. Ehe der Kaiser die Verkündigung vornimmt, hat er,
bezw. für ihn der Reichskanzler, zu untersuchen, ob das zu verkün-
digende Gesetz die verfassungsmässige Zustimmung des Bundes-
rathes und des Reichstages erhalten hat, ob ein die Verfassung
abänderndes Gesetz auch unter Einhaltung der Vorschrift des Arti-
kel 78 Absatz I zu Stande gekommen ist, ob ein, ein Sonderrecht be-
seitigender Gesetzentwurf die Zustimmung des betheiligten Staates
erhalten hat, ob die Bestimmungen des Artikel 5 Absatz 2 ım Bun-
desrathe eingehalten sind. Findet der Kaiser, dass alle diese ver-
fassungsmässigen Bedingungen erfüllt sind, so ist er verpflichtet,
ein solches Gesetz zu verkündigen; ergiebt sich aber bei der Prü-
fung das Gegentheil, so ist er ebenso berechtigt, als verpflichtet,
den Gesetzentwurf unverkündigt zu lassen.
Erst durch »Jie Ausfertigung und Verkündigung des Kaisers:
wird ein vom Bundesrathe und Reichstag übereinstimmend ange-
nommener Gesetzentwurf zum Gesetze. Die Ausfertigung bezieht
sich auf die innerliche urkundliche Feststellung, die Verkündi-
gung auf die Mittheilung nach aussen an diejenigen, welche dem
Gesetze zu gehorchen haben. Beide Akte erscheinen als eigenste
Regierungshandlungen des Kaisers, für welche der Reichskanzler
die Verantwortung trägt.
Die Form der Verkündigung der Reichsgesetze ist durch die
Reicheverfassung selbst festgestellt. »Die Reichsgesetze erhalten
ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichswegen,
welche vermittelst eines Reichsgesetzblattes geschieht. Dies
ist die einzige Verkündigungsart, welche die Reichsverfassung
kennt. Was nicht im Reichsgesetzblatt steht, kann niemals reiche-