Vom deutschen Reiche überhaupt. 3
Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechts, sowie
zur Pficge der Wohlfahrt des deutschen Volkes. Diese Worte
haben, nach der richtigen Auffassung, zwar keinen unmittelbaren
dispositiven Inhalt; sie sind nicht brauchbar für die praktische Ab-
grenzung der Kompetenz zwischen Reich und Einzelstaaten !. Diese
ist vielmehr durch Artikel 4 und andere Artikel der Reichsverfassung
positiv bestimmt. Würden diese Worte als Gesetzesvorschrift ge-
nommen, so würden sie den Einzelstaaten nichts übrig lassen und
alles der Reichsgewalt zuweisen, denn es lässt sich überhaupt keine
Thätigkeit des Staates denken, die uicht unter diese allgemeine
Zweckbestimmung fiele. Dennoch sind diese Worte nicht ohne
Bedeutung, um die rechtliche Natur des deutschen Reiches richtig
zu würdigen. Wenn die Reichsverfassung auch die Absteckung der
Kompetenzgrenzen im Einzelnen speciellen Bestimmungen über-
weist, so erkennt sie doch, gerade durch diese s0 allgemeine Zweck-
bestimmmung, recht deutlich den Staatscharakter des Reiches an,
welches grundsätzlich nicht auf einzelne Aufgaben beschränkt sein,
sondern den Staatszweck in seiner Totalität umfassen soll. Inwie-
weit sich die Reichsgewalt in dessen Verwirklichung mit den Ein-
zelstaaten zu theilen hat, ist dagegen Sache der schon bestehenden
speciellen Kompetenzbestimmungen und später noch zu erlassender
kompetenzändernder Gesetze.
4) Unzweifelhaft findet auch im deutschen Reiche eine solche
verfassungsmässige Vertheilung der im einfachen Staate
einheitlich keit zwischen der Reichs-
gewalt und der Staatsgewalt der Einzelstaaten statt, wie dies noth-
wendig zum Wesen des Bundesstaates gehört. Trotz der weitgehen-
den Zuständigkeit der Reichsgewalt bleibt den Einzelstaaten immer
noch ein bedeutsamer staatlicher Wirkungskreis, ein Komplex von
Hoheitsrechten, in deren Ausübung sie als selbständige Staaten er-
scheinen. Obgleich der in anderen bundesstaatlichen Verfassungen
ausgesprochene Satz, dass alle Hoheitsrechte, die der Centralgewalt
nicht ausdrücklich übertragen sind, den Einzelstaaten verbleiben,
1 Die richtige Ansicht hat besonders Besclor ausgeführt in den Preusa.
Jahrb. XXVIII. 8. 136 f., ebenso Zorn, B.I S. 43: »Diese Worte gehören juri-
stisch gar nicht zur Verfassung; sie enthalten nur gleichsam die Motive zu latzte-
rer, sio geben eine historische Notiz über dasjenige Faktum, welches zur Aufrich-
tung des neuen Staates und damit auch zur Verfassung geführt hat; sie bezeichnen
sugleich in allgemeinen Redewendungen die Gesichtspunkte, von welchen die
Kontrahenten der Verträge in Hinsicht auf das neu zu begründende Staatswesen
geleitet waren« u.e.w. A.A.O. Bähr iin den Preuss. Jahrb. B. XXVIII 8. 724.
1*