Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

4 Das Reichsstaatarecht. 
in der Reichsverfassung nicht ausdrücklich ausgesprochen ist, so 
ist er doch selbstverständlich auch im deutschen Reiche Rechtens'. 
Die Einzelstaaten sind die ursprünglichen Faktoren des deutschen 
Reiches, welche in der von ihnen beschlossenen Reichsverfassung 
das an das Reich übertragen haben, was sic als Gegenstand ge- 
meinsamer Fürsorge betrachteten, das übrige aber ihrer eigenen 
Kompetenz vorbehielten. 
5) Die Reichsgewalt hat eine unmittelbare Beziehung zu dem 
deutschen Volke, d. h. zu den Bürgern der Einzelstaaten; sie übt 
über sie unmittelbar Herrschaftsrechte und diese haben wieder un- 
mittelbar Ansprüche an die Reichsgewalt, sie sind sämmtlich 
Reichsunmittelbare geworden. Die Reichsgesetze verbinden 
nicht bloss die Einzelstaaten, sondern die einzelnen Bürger als 
solche. Eine Verkündigung derselben durch die Landesobrigkeiten 
findet nicht statt oder ist wenigstens juristisch bedeutungslos. Der 
übergeordnete Charakter der Reichsgewalt zeigt sich darin, dass die 
Reichsgesetze den Landcsgesetzen vorgehen. Das Substrat der 
Korporation des deutschen Bundesstaates sind nicht bloss die 25 
üinzelstanten, sondern die Deutschen im staatsrechtlichen Sinne. 
Dieser Dualismus der Bürgerrechte und Unterthanenpflichten: ist 
eine nothwendige Konsequenz des Bundesstaatabegriffes. 
Lassen sich somit am deutschen Reiche alle Merkmale des oben 
($ 25) entwickelten Bundesstaatsbegriffes nachweisen, so ist damit 
im Allgemeinen sein stuatsrechtlicher Charakter als Bundesstaat 
festgestellt. Es ist ein Staat, aber kein einfacher Staat, eivitas sim- 
plex, sondern ein zusnmmengesetzter Staat, civitas composita, in der 
modernen Gestalt eines Bundesstaates. Der Begriff des Bundes- 
stauts lüsst aber der Individualitüt der einzelnen bundesstaatlichen 
Gebilde noch einen weiten Spielraum. Und gerade das deutsche 
! Nordamerikaniache Verfassung: »The power» not delegated to the United 
States by the constitution, nor prohibited by it to the states, are reserved to the 
states respectivcly or to thc pcople«. Artikel 3 der Schweizerischen Bundesver- 
fasaung : »I)ie Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränetät nicht durch dio 
Bundesverfansung beschränkt ist, und üben als solehe alle Rechte aus, welche 
nicht der Bundengewalt übertragen sind«. Entwurf der deutschen Reichsver- 
fussung vom 2%. März 1649 Art. I 55: »Die einzelnen deutschen Staaten behal- 
ten ihre Selbständigkeit, roweit dieselbe nicht durch die Reichsverfassung be- 
schränkt it; sie haben alle ataatlichen Hohciten und Rechte, soweit diese nicht 
der Reichagewslt ausdrücklich übertragen sind«. Der Antrag des Abgeordneten 
7Zacharid, einen äbnlichen Artikel in die Verfassung des norddeutschen Bundes 
aufsunehmen (Stenogr. Ber. 1867 8. 243), wurde abgelchnt, nicht weil man ihn 
für unrichtig, sondern weil man ihn für selbstveratändlich und samit für über- 
flüssig hielt.
	        
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