Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

134 II. Von den Funktionen der Reichagewsalt, 
lich den Einzelstaaten zu. Da die Reichsjustizgebung gleich 
von Anfang an auch das Obligationenrecht, Strafrecht, Handels- 
und Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren mit um- 
fasste, mussten die Landesgerichte allerdings ihre Gerichtsbarkeit 
nach den Vorschriften der Reichsgesetze ausüben; immerhin waren 
sie aber diealleinigen Träger der Gerichtsbarkeit, welche 
sie mit der Reichsgewalt nicht theilten. Eine tiefgreifende Verände- 
rung erfolgte durch das Gesetz vom 12. Juni 1669, wodurch das 
Oberhandelsgericht ins Leben gerufen wurde. Dadurch ging ein 
wichtiges Hoheitserecht von den Einzelstaaten theilweise auf den 
Bund über, welcher von nun an, in gewissen privatrechtlichen Strei- 
tigkeiten, durch ein eigenes Gericht im Namen des Bundes ent- 
schied. Man hat darüber gestritten, ob in diesem Gesetze, welches 
einen Theil der Gerichtsbarkeit auf den Bund übertrug, eine Ver- 
fassungsänderung gelegen habe. Letzteres muss bejaht werden. 
Jedenfalls ist dieselbe aber verfassungsmässig beschlossen, indem 
im Bundesrathe mehr als zwei Drittel der vertretenen Stimmen sich 
dafür aussprachen. Diese eigene Gerichtsbarkeit des Reiches fand _ 
eine bedeutende Erweiterung durch die Gründung des deutschen 
Reichsgerichtes, welches sei dem 1. Oktober 1879 an die Stelle des 
Oberhandelsgerichtes trat. Durch dieses Gesetz ist auf das deutsche 
Reichsgericht die höchste Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Streitig- 
keiten und Strafsachen übertragen, während seitdem die Gerichte 
der Einzelstaaten nur eine der Reichsgerichtsbarkeit untergeord- 
nete Gerichtsbarkeit ausüben. Eine Ausnahme macht nur Bayern. 
$$ des Einführungsgesetzes zur Gerichtsverfassung bestimmt: »Durch 
die Gesetzgebung eines Bundesstaates, in welchem mehrere Ober- 
landesgerichte errichtet werden, kann die Verhandlung und Ent- 
scheidung der zur Zuständigkeit des Reichsgerichtes gehörenden Re- 
visionen und Beschwerden in bürgerli einem 
obersten Landesgericht übertragen werden«. Da nur Preussen 
und Bayern mehrere Oberlandesgerichte besitzen und Preussen auf 
seinen obersten Gerichtshof verzichtet hat, so war Bayern allein in 
der Lage, die grundsätzlich zur Zuständigkeit des Reichsgerichtes 
gehörigen Revisions- und lleschwerdesachen in bürgerlichen Rechts- 
streitigkeiten einem obersten Landesgerichte zu überweisen. Von 
dieser Befugniss hat auch Bayern Gebrauch gemacht und so ist 
Bayern jetzt der einzige Staat, welcher von der Gerichtsbarkeit des 
obersten Reichsgerichtes in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten exi- 
mirt ist. Das einzige privilegium de non appellando im heutigen
	        
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