.Vom deutschen Reiche überhaupt. 9
Ein Staat gebildet werden sollte. Dass die Stimme des einverleibten
Staates ipso jure auf den einverleibenden überginge, lässt sich mit
Laband nicht behaupten. Die Stimmrechte haben heut zu Tage
nicht den rein territorialen Charakter, wie zur Zeit des älteren
Reiches, wo sie auf das Territorium »gegrundfestigt« waren !, sondern
sind Staatenstimmen, welche die Existenz eines selbständigen
Staates voraussetzen, die aber mit der Einverleibung verloren geht.
Es kommt hier nicht die Analogie des früheren Reichsrechtes, son-
dern die des ehemaligen Bundesrechtse zur Anwendung. Es hing
nach Artikel 16 der Wiener Schluss-Akte: »wenn die Besitzun-
gen eines souveränen deutschen Hauses durch Erbfolge auf ein
anderes übergehen, von der Gesammtheit des Bundes ab, ob und in-
wiefern die auf jenen Besitzungen haftenden Stimmen dem neuen
Besitzer beigelegt werden sollen«e.. Dies würde auch heut zu Tage
bei Einverleibung eines Einzelstaates in den anderen als Grundsatz
gelten, während die Bundespflichten in der regelmässigen Weise
von dem Erwerber weiter erfüllt werden müssten, bis eine aus-
drückliche Neuordnung durch die Reichsgewalt stattgefunden hätte.
Was hier von der Verbindung mehrerer Staaten in Folge fürstlicher
Thronfolgerechte gesagt ist, muss auch gelten, wenn ein Staat,
unter Zustimmung aller verfassungsmässigen Faktoren, beschliessen
sollte, seine staatliche Selbständigkeit aufzugeben und in einen
anderen deutschen Staat aufzugehen. Während so eine frei-
willige, in verfassungsmässiger Form erfolgte Abtretung der Lan-
deshoheit ohne Zustimmung der Reichsgewalt zu Gunsten eines
mitverbündeten deutschen Staates geschehen kann, kann die
freiwillige Abtretung eines Bundesstaates oder eines Theiles des-
selben an einen auswärtigen Staat ohne Zustimmung der Reichsge-
walt nicht erfolgen, auch wenn letzterer sich zur Uebernahme der
Bundespflichten erbieten sollte. Obgleich Artikel 5 der Wiener
Schluss-Akte: »Sämmtliche Bundesglieder verpflichten sich gegen-
seitig dahin, dass sie eine etwaige freiwillige Abtretung ihrer
auf einem Bundesgebiete haftenden Souveränetätsrechte ohne Zu-
stimmung der Gesammtheit nur zu Gunsten eines Mitverbündeten
vornehmen wollen«, trotz eines dahin gehenden Antrages des Ab-
geordneten von Carlowitz, nicht in die Verfassung aufgenommen
wurde, so muss doch, bei der fortbestehenden ratio legis desselben,
1 K. L. Aegidi, Der Fürstenrath nach dem Lüneriller Frieden. Berlin
1853.