Vom deutschen Reiche überhaupt. 11
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2) Theilung der Staatsfunktionen zwischen dem Reiche und den Einzelstaaten.
Theilung der Staatsfunktionen zwischen der Centralgewalt und
der Staatsgewalt der Einzelstaaten ist ein wesentliches Merkmal
jedes Bundesstaates. Wie dagegen diese Vertheilung stattgefunden
hat, ist eine Frage, welche nach dem konkreten Stnatsrechte der
verschiedenen Bundesstaaten beantwortet werden muss. Allgemeine
Regeln lassen sich darüber nicht aufstellen. Auch im deutschen
Reiche ist natürlich eine solche Feststellung der Kompetenzgrenzen
durch die Reichsverfassung und später erlassene kompetenzerwei-
ternde Gesetze erfolgt. Ihre specielle Darlegung wird gegeben wer-
den bei der Erörterung der einzelnen Funktionen der Reichsgewalt.
Hier ist nur der allgemeine Gesichtspunkt festzustellen, wonach
wir im Verhältnisse des Reiches zu den Einzelstarnten drei Kate-
gorien der Staatsthätigkeit zu unterscheiden haben:
1j Es giebt einzelne Gegenstände, wo das Reich die ganze
staatliche Thätigkeit monopolisirt, wo es vorgeht, als ob Einzelstaa-
ten neben und unter ihm gar nicht beständen, kurz wo es handelt,
als ob es ein Einheitsstaat wäre. Ilier nimmt es nicht nur Gesetz-
gebung und Aufsicht, sondern auch die ganze Ausführung für sich
in Anspruch. Hierher gehören die Marine, die auswärtigen Ange-
legenheiten des Reiches, das Konsulatswesen im Auslande.
2) Bei weitem zahlreicher sind die Gegenstände der Staats-
thätigkeit, wo das Reich nur Gesetzgebung und Beaufsichtigung für
sich in Anspruch nımmt, während die Ausführung der Gesetze
den Einzeltaaten überlassen ist. Hier verwaltet das Reich nicht
selbst, sondern die Einzelstaaten haben nach Maassgabe der Reichs-
gesetze zu verwalten. Hierher gehören bei weitem die meisten der
der Kompetenz des Reiches in Artikel 4 der Reichsverfassung über-
wiesenen Gegenstände. Durch die Reichsgesetze ist der freien Be-
wegung der einzelstaatlichen Selbstverwaltung bald ein grösserer,
bald ein kleinerer Spielraum gewährt.
3, Bei der dritten Kategorie von Gegenständen kommen nur
die Einzelstaaten, nicht das Reich in Betracht. Dahin gehören so-
wohl die Angelegenheiten, welche überhaupt nicht der Gesetzes-
kompetenz des Reiches unterliegen, als auch diejenigen, wo das
Reich von seiner Gesetzgebungsbefugniss noch keinen Gebrauch
gemacht hat, obgleich sie derselben durch Artikel 4 überwiesen
sind. Hier haben die Einzelstasten nicht nur die Selbstver-