Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

16 Das Reichsataatarecht. 
23. November 1870 unter III $ 5 zur Anwendung; insbesondere ist 
Bayern hinsichtlich seines Militäretats von den Vorschriften der 
Reichsverfassung Artikel 69, 71 und 72 in der Weise eximirt, dass 
dieselben nur nach Maassgabe der unter Nr. 4 genannten Vertrags- 
bestimmungen zur Anwendung kommen. 
Der gemeinsame juristische Charakter beider inhaltlich ver- 
schiedener Arten von Sonderrechten bestcht darin, dass aufbeide der 
Absatz 2 des Artikels 78 der Reichsverfassung Anwendung findet, 
welcher lautet: »Diejenigen Vorschriften der Reichsver- 
fassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner 
Bundesstaaten in dem Verhältnisse zur Gesammtheit 
festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des be- 
rechtigten Bundesstaates abgeändert werden«. 
Dieser vielbedeutende Satz war in der norddeutschen Bundes- 
verfassung nicht enthalten, er taucht zuerst in dem Vertrage zwi- 
schen dem norddeutschen Bunde, Baden und Hessen vom 15.Novem- 
ber 1670 auf und kehrt wieder in den Verträgen mit Bayern vom 
23. November 1870 und mit Württemberg vom 25. November 1570 
Aus diesen Verträgen ist er in die gegenwärtige Redaktion der 
Reichsverfassung übergegangen. Ueber Sinn, Tragweite und Um- 
fang des Satzes bestehen abweichende Ansichten. 
Vor allem muss derselbe im Zusammenhange mit dem ersten 
Abschnitt des Artikels 78 aufgefasst werden, mit welchem dieser 
Satz absichtlich in Verbindung gesetzt worden ist. Absatz 1 besagt: 
»Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege 
der Gesetzgebung; sie gelten als abgelehnt, wenn 
sie im Bundesrathe 14 Stimmen gegen sich haben« 
Dadurch ist jede Verfassungsänderung ausdrücklich auf den Weg der 
Gesetzgebung verwiesen. )er frühere Streit ! über die Berechti- 
gung einer Kompetenzerweiterung ist damit aus dem praktischen 
Staaterechte verschwunden. Eine Erweiterung der Reichskompe- 
tenz bedarf keineswegs, wie eine frühere Doktrin behauptete, eines 
ı Zu Zeiten des norddeutschen Bundes erklärten sich gegen die sog. Kom- 
petens-Kompetens H. Böhlau, Kompetenz-Kompetenz? 1669. H.A. Zacha- 
riö, Die Verfassungsänderungen nach Artikel :8 der norddeutschen Bundes- 
verfassung. 1869. H. Böhlau, Replik sur Kompctenz-Kumpetenz; für die 
Kompetene-Kompetenz: die Kompetenz des norddeutschen Bundes aus Artikel 
78 der Bundesverfassung. Von einem Mitgliede des konstituircnden Reichstagen. 
18570. Thudichum, Verfassungsrecht des norddeutschen Bunden. S. 34. von 
Martitz, Betrachtungen. S. 10. Hiersemenzel, lie Verfassung des nord- 
deutachen Bundes. 8. 34.
	        
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