250 ll. Von den Funktionen der Reichsgewalt.
zur Verstärkung der stehenden Armee benutzt werden konnte. In
dieser Zeit wurden die Grundlagen des preussischen Volksheeres
geschaffen. Am 3. September 1814 (Gesetzsammlung $. 78) wurde
die allgemeine Wehrpflicht, jene grosse Maassregel, welche
Scharnhorst so lange vorbereitet und für die Dauer des Krieges von
1813 durchgesetzt hatte, zum bleibenden gesetzlichen Grundsatze
erhoben. Die schon im Kriege so rühmlich bewährte Landwehr
wurde durch die Gesetzgebung des Jahres 1815 und der folgenden
Jahre weiter ausgebildet und zu einer wichtigen organischen Ein-
richtung der preussischen Kriegsverfassung gemacht. Am 22. De-
cember 1819 erliess König Friedrich Wilhelm III. eine Verordnung,
durch welche die Anzahl und die Präsenzetärke der Kadres der
Armee ein für allemal festgestellt und mit den gesetzlich fixirten
Landwehrbezirken in Verbindung gebracht wurde. Zum ersten
Male im modernen Europa wurde hier das Princip der Gleichheit,
der Gedanke einer volksthümlichen Heeresverfassung im grossen
Style, in ernstlichen, militärischen Formen durchgeführt. Nur in
Preussen war »sdas Volk in Waffen« wieder eine Wahrheit.
Aber auch diese grossartige Wehrverfassung der Freiheitskriege
hatte in der langen Friedenezeit, besonders bei mehrfachen Mobil-
machungen, ihre Schwächen gezeigt. Wollte Preussen seine Macht-
stellung in Europe behaupten und besonders die ihm zugefallene
nationale Aufgabe siegreich durchführen, 80 musste es seine Heeres-
verfassung den Bedürfnissen der Gegenwert anpassen und, unter
Beibehaltung der alten bewährten Grundlagen, eine Reorganisation
durchführen, welche die preuseische Armee den Heeren der übrigen
Grossmächte numerisch gleich stellte und die schnelle Schlagfertig-
keit derselben sicherte. Dies mit scharfem militärischen Blicke
erkannt und trotz alles Widerstandes durchgeführt zu haben, ist
das persönliche Verdienst König Wilhelms I.i. Um das stehende
Friedensheer von 150000 Mann auf 200000 Mann zu vermehren,
sollte die Dienstpflicht im stehenden Heere von 7 Jehren auf 8 Jahre
erhöht, die wirkliche Dienstzeit, die thatsächlich auf 2 und 21/3 Jahre
herabgegangen war, in der gesetzlichen Dauer von 3 Jahren festge-
halten werden. Um weitere Kadres zu gewinnen, sollten die Infan-
1 Erklärung des Königs vom 23. Oktober 1862: »Was die Militärreorganiss-
tion betrifft, so ist diese mein eigenstes Werk und ich bemerke hierbei, es
giebt kein Boninsches und kein Roonaches Projekt, es ist mein eigenes und ich
habe daran gearbeitet nach meinen Erfahrungen und pflichtgemässer Ueberzeu-
gung. Ich werde fest daran halten.«