258 U. Von den Funktionen der Reichsgewalt.
türgesetz die Verfassung abgeändert werden soll, so müssen die
Formen beobachtet werden, welche Artikel 78 Absatz 1 überhaupt
für Verfassungsänderungen vorschreibt Wenn durch ein Reichs-
gesetz ein militärisches Sonderrecht aufgehoben werden soll, so
kann eine solche Aufhebung nur erfolgen mit Zustimmung des
Staates, welchem ein solches Sonderrecht zugesichert ist. Solche
durch die Verfassung verbriefte militärische Sonderrechte besitzen
aber nur Bayern und Württemberg, indem der bayerische Bündniss-
vertrag vom 23. November 1870 und die württembergische Militär-
konvention von 21/25. November 1870 zu integrirenden Bestand-
theilen der Reichsverfassung erklärt sind, während die allen anderen
Staaten in den Militärkonventionen zugesicherten Rechte nicht den
Charakter von Sonderrechten in reicherechtlichem Sinne haben und
deshalb durch die Reichagesetzgebung aufgehoben oder abgeändert
werden können.
Bei dem Inslebentreten der norddeutschen Bundesverfassungen
bestanden in den deutschen Einzelstaaten gar verschiedene Militär-
gesetzgebungen, welche der einheitlichen Gestaltung des Reichs-
heeres Eintrag thaten. Die Durchführung einer neuen einheit-
lichen Militärgesetzgebung hätte aber lange Zeit in Anspruch
genommen. Wollte man schnell zum Ziele gelangen, so ergab sich
nur ein Mittel, die Einführung der gesammten preussischen Militär-
gesetzgebung in den übrigen Staaten des norddeutschen Bundes.
Diesen Weg schlägt Artikel 61 ein: »Nach Publikation dieser Ver-
fassung ist in dem ganzen Reiche die gesammte Preussische Militär-
gesetzgebung ungesäumt einzuführen, sowohl die Gesetze selbst, als
die zu ihrer Ausführung, Erläuterung oder Ergänzung erlassenen
Reglements, Instruktionen und Rescripte, namentlich also das Mili-
türstrafgesetzbuch vom 3. Aprıl 1545, die Verordnung über die Ehren-
gerichte vom 20. Juli 1843, die Bestimmungen über Aushebung,
Dienstzeit, Servis- und Verpflegungswesen, Einquartirung, Ersatz
von Flurbeschädigungen, Mobilmachung u.s. w. für Krieg und Frie-
den. Die Militärkirchenordnung ist jedoch ausgeschlossen. Wie
diese Einführung vor sich zu gehen habe, darüber sagt Artikel 61
nichts. Bei der Weitschichtigkeit des Materials wäre eine augenblick-
liche Publikation mit Schwierigkeiten verbunden gewesen, darum
konnte Artikel 61 eine solche nur in nächste Aussicht stellen, sie
sollte ungesüumt stattfinden. Diese Verpflichtung legt die Verfas-
sung dem Bundespräsidium auf, welchem es überlassen wird, in wel-
cher Weise es den in der Verfassung ihm gegebenen Auftrag durch-