Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

9. Das Kriegswesen des Reiches, 269 
steht ihnen das Recht zu, zu polizeilichen Zwecken nicht bloss ihre 
eigenen Truppen zu verwenden, sondern auch alle anderen Trup- 
pentheile des Reichsheeres, welche in ihren Ländergebieten dislo- 
eirt sind, zu requiriren«. Dieses sogenannte Requisitionsrecht 
findet nicht nur bei Störungen der öffentlichen Ruhe, wenn die Po- 
lizeibehörden die Unterstützung der Militärkräfte in Anspruch neh- 
men, sondern auch in gewöhnlichen Zeiten statt, z.B. zur Bewachung 
öffentlicher Kassen, der Strafanstalten u. s. w. Wenn den Regie- 
rungen der Einzelstaaten jede Verfügung über irgendwelche Trup- 
pentheile zu kriegerischen Zwecken entzogen ist, 0 haben sie 
die Verfügung über die Truppen zur Unterstützung der Polizeibe- 
hörden, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit nicht nur 
behalten, sondern dieses Verfügungsrecht ist dadurch wesentlich 
erweitert, dass sie auch die nicht zu ihrem Kontingent gehörigen, 
in ihrem Gebiete gamisonirenden Truppentheile zu polizeilichen 
Zwecken requiriren können ; eine Befugniss, welche für die kleine- 
ren Staaten in unruhigen Zeiten von nicht zu unterschätzender Be- 
deutung ıst. (Wie anders würde sich das Jahr 1645 in den Klein- 
staaten abgespielt haben, wenn ihren Regierungen damals ein sol- 
ches Recht zur Seite gestanden hätte.) 
$ 335. 
Die durch die Militärkonventionen begründeten Ab- 
weichungen von der Reichsverfassung!. 
In den vorhergehenden Paragraphen ($$ 330—334) haben wir 
das Heerwesen lediglich nach den Bestimmungen der Reichsverfas- 
sung (XI Reichskriegswesen Artikel 57—68) dargestellt. Dieses 
Normalrecht ist aber, in Betreff der Einzelstaaten, in so weit- 
gehender Weise abgeändert, dass es in völlig unveränderter Gestalt 
kaum noch in Einem Staate zur Anwendung kommt. Diese Ab- 
änderungen sind durch die sogenannten Militärkonventionen 
bewirkt, welche in Artikel 66 ausdrücklich anerkannt sind. {»Wo 
nicht besondere Konventionen ein Anderes bestimmen«). Diese Mi- 
litärkonventionen haben nicht nur einen sehr verechiedenartigen 
Inhalt, sondern auch einen verschiedenen staatsrechtlichen Charak- 
ter, dieselben sind entweder für Bestandtheile der Reichsverfassung 
  
ı Simmtliche Militörkonventionen sind abgedruckt mit einleitenden Bemer- 
kungen in »den Militärgesetsen des deutschen Reiches= B. I. S. 55—181. Sey- 
dela. a. 0.8. 1403f. Hänel a. a. O. 8, 115 ff., vor allem I,aband B. III. 
S.26 ff. Zorna.a O.B.1. S. 303,
	        
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