Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

18 Das Reichastaatarecht. 
die Reichsverfassung gewissen einzelnen Stoaten wei rgehende 
Befugnisse in Bezug auf die Betheiligung am Reichsregiment bei- 
legt, als anderen. Auch hier sind es Befugnisse, welche die Verfas- 
sung seinzelnen« Staaten, nicht allen oder den einzelnen Staaten 
beilegt, sie beruhen nicht auf dem Principe der Gleichberechti- 
gung, sondern auf dem der Bevorzugung. Dahin gehören vor 
allem die Präsidialbefugnisse Preussens, die vom Princip abwei- 
chende grössere Stimmenzahl Bayerns, dessen Sitz und Vorsitz im 
Bundesrathsausschuss für Heerwesen und Festungen u. s. w. Nie- 
mals aber darf diese singuläre Vorschrift auf Befugnisse der Einzel- 
staaten ausgedehnt werden, welche nicht ausdrücklich in der Reichs- 
verfassung und den ihr gleichgestellten Verträgen anerkannt sind. 
»Rechte, welche nicht durch eine ausdrückliche Vorschrift der 
Reichsverfassung fest bestimmbar sind, stehen überhaupt nicht zur 
Frage« (Hänel). Das von Labend angenommene Sonderrecht, 
dass keinem Einzelstaate eine grössere Belastung oder Beschränkung 
auferlegt werden dürfe, als den übrigen, ist unerweisbar, wie dies 
von Löning schlagend dargethan ist. Allerdings ist es eine Billig- 
keitsrücksicht, dass alle Staaten, dem Reiche gegenüber, mit glei- 
chem Masssstabe gemessen werden und keinem eine Mehrbelastung 
angesounen wird, ohne seine Zustiminung; aber wo das Reichswohl 
es unbedingt verlangt, dass es dennoch geschehe, wird kein Sonder- 
recht verletzt, kein Protest des betreffenden Einzelstaats begründet. 
Es ist auch nicht bloss eine Machtfrage, sondern eine Rechtspflicht, 
dass der Einzelstaat sich einer solchen Maassregel zu Gunsten der 
Gesammtheit unterwirft. Der Reichsgewalt stehen die Einzelstaaten 
eben so gegenüber, wie jeder Staatsgewalt die ihr unterworfenen 
Individuen und Korporationen; sie soll die wohlerworbenen Rechte 
derselben achten und nicht in dieselben eingreifen. Wo aber das 
Gesammtwohl eine Veränderung oder Aufhebung wohlerworbener 
Rechte unbedingt erheischt, da bilden auch diese keine absolute 
Schranke für die Staatsgewalt. Nur fordert die Gerechtigkeit volle 
Entschädigung des Berechtigten. Wenn das Gesetzeine solche, wo sie 
möglich ist, nicht gewährt, so thut die Staatsgewalt materiell Un- 
recht; formell ist aber doch auch ein solches Gesetz rechtsbestän- 
dig und dem Verletzten steht kein Rechtsmittel gegen den Gesctz- 
geber zu. Ganz dasselbe gilt von dem Verhältnisse der Reichsgewalt 
zu den wohlerworbenen oder gesetzlich bestehenden Rechten der 
Einzelstaaten. »Jura singulorum« im Sinn des älteren Reichs- oder 
des deutschen Bundesrechtes existiren der souveränen Reichsgesetz-
	        
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