9. Das Kriegswesen des Reichea. 281
nicht zu Stande kommt, so findet nach Artikel 109 die Forterhebung der
bestehenden Steuern und Abgaben für die Staatekasse statt, ganz unab-
hängig vom Etatsgesetze. Ganz so sicher wollte sich auch die Reichsre-
gierung in Betreff der Einnahmen zur Bestreitung der Ausgaben für
das Heerwesen stellen. Diese sollten fortlaufen, auch wenn mit dem
Reichstage keine Verständigung zu erzielen gewesen wäre. Man wollte
damit aber auch die Regierungen der Einzelstaaten vinculiren, dass sie
nicht etwa, im Fall eines nicht zu Stande gekommenen Etats, die zur
Erhaltung des Heeres nöthigen Zahlungen zurückbehalten könnten, son-
dern trotzdem zur Reichskasse abliefern müssten. In diesen Sätzen
suchte die Reichsregierung ebensowohl eine Garantie gegen das mögliche
Widerstreben eines künftigen Reichstages, wie gegen die etwaige Selbst-
sucht der Einzelstaaten. Da solche Fälle jeder Zeit vorkommen können,
so kann auch das gegen sie angeordnete Vorbeugungsmittel nicht bloss
einen provisorischen Charakter haben. Die Berechnung der von den
Einzelstasten fortzuzahlenden Beträge erfolgt nach der in Artikel 60 in-
terimistiach festgestellten Friedenspräsenzstärke, bis sie durch ein Reichs-
gesetz abgeändert ist. Während also in Betreff der Einnahmen das
Recht der Budgetbewilligung des Reichstages sich innerhalb derselben
Schranken bewegt, wie das des preussischen Landtages, ist es auch in Be-
treff der Feststellung der Ausgaben ganz ebenso geregelt. »Die Ver-
ausgabung dieser Summe für das gesammte Reichsheer
und dessen Einrichtungen wird durch daa Etatsgesetz fest-
gestellt.a Verfassungsmässig muss also jede Ausgabe für
das Heer im Etat festgestellt sein. Kommt also ein Etatsge-
setz nicht zu Stande, so tritt ein abnormer verfassungswidriger Zustand
ein. Dass dies aber nicht dazu führen kann, jede Ausgabe für das Heer
zu unterlassen, d. h. die Armee aufzulösen, versteht sich von selbst. Es
tritt dann ein Nothstand ein, in welchem der Reichskanzler, auf seine
Verantwortlichkeit hin, die nicht etatemässig festgestellten nothwendigen
Ausgaben für das Heer dennoch leisten wird, um ihre Bewilligung vom
nächsten Reichstag zu erlangen, wie er auch sonst ausseretats-
mässige Ausgaben zu rechtfertigen suchen muss (B. I 8. 592).
2) Die Landwehr,
$ 338.
Während die Reserve einen Theil des stehenden Heeres bildet
und die Mannschaften derselben dazu bestimmt sind, die Kadres
desselben auszufüllen, ist die Landwehr eine selbständige Orga-
nisation. Nur ausnahmsweise können Landwehrleute in das ste-
hende Heer eingestellt werden, sonst bildet die Landwehr ihre
selbständigen Kadres; dies gilt aber nur von der Infanterie. Die
Mannschaften der Artillerie werden in das stehende Heer einge-
reiht, für die Landwehrkavallerie werden nur nach Maassgabe des
Bedarfes besondere Truppenkörper gebildet. Gesetzlich festgestellt