294 II. Von den Funktionen der Reichsgewalt.
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Die aktive Dienstpflicht.
Zum aktiven Heere gehören alle bei den Fahnen versammelten
Mannschaften, sowohl diejenigen, welche ihre dreijährige Dienst-
pflicht erfüllen mit Einschluss der einjährig Freiwilligen), als die-
jenigen, welche vorübergehend zum Dienst in der Reserve, der Land-
wehr oder dem Landsturm eingezogen sind, solange als sie sich
bei den Fahnen befinden, bis sie wieder entlassen
sind. Für diese Zeit stehen alle diese Mannschaften unter gleichen
Dienstgesetzen und haben gleiche Pflichten zu erfüllen.
Das Dienstverhältnies der aktiven Militärpersonen äussert ähn-
liche Wirkungen wie das Beamtenverhältniss (B. I S. 324). Der
Militärdienst begründet in erster Linie Pflichten. Die Verletzung
dieser Pflichten ist mit Strafen bedroht; die schwereren Pflichtver-
letzungen fallen unter das Militärstrafgesetzbuch. Dasselbe
ist vom 20. Juni 1672 und gilt’für das gauze deutsche Reich. Leich-
tere Dienstvergehen unterliegen der Disciplinarstrafordnung,
welche eine Ergänzung des peinlichen Strafgesetzbuches bildet
\Disciplinarstrafordnung für das Heer vom 31. Oktober 1872, für
die Marine vom 23. November 1872). Die Bestrafung der im Mili-
tärstrafgesetzbuche verpönten Handlungen kann nur durch ein mi-
litärgerichtliches Verfahren erfolgen, die Verletzungen der Discipli-
narstrafordnung werden durch Verfügungen der Vorgesetzten geahn-
det. Die Dienstpflichten der Soldaten sind theils durch allgemeine
Vorschriften festgestellt, theils werden sie durch specielle Befehle
der Vorgesetzten begründet. Die Gehorsamspflicht der Soldaten ist
eine unbeschränkte. Wird durch die Ausführung eines Befehles in
Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt, so ist der befehlende Vorge-
setzte allein verantwortlich. Es trifft jedoch den gehorchenden
Untergebenen die Strafe des Theilnehmers dann, wenn er den
ihm ertheilten Befehl überschritten hat oder wenn ihm bekannt
1 Vergleiche hierüber besonders den sachkundigen Aufsatz von Hecker,
»Ueber die Grenzen des Kriminal- und Disciplinarstrafrechtes bei Pflichtver-
letsungen der Civilbeamten und Militärpersonem im Gerichtseaale B. XXXI
(1879) 8. 481 f£, welcher übrigens zu dem Resultate kommt: »J)ie Grenzen zwi-
schen dem Militärkriminal- und dem Militärdiseiplinarstrafrecht sind daher durch-
aus schwankend und nicht annähernd a0 fest bestimmt wie die Grenzen des Kri-
minal- und Disciplinarstrafrechtes bei Pfliohtverletzungen der Beamten. Es ist
Sache der Militärgerichte die disciplinaren Gesichtspunkte scharf ins Auge
zu fassen und dafür Sorge zu tragen, dass durch ihre Thätigkeit die fehlende rei-
nigende Disciplin in vollem Maaase Ersatz finde.«