10. Die auswärtigen Angelegenheiten, 327
fechtung, die Aufhebung derselben eingehend erörtert werden. Wir
verweisen auf diese Darstellungen und übergehen auch die in neue-
rer Zeit über die Natur der Staatsverträge aufgetauchten Streitfra-
gen. Dagegen hat das positive Staatsrecht jedes Staates die Frage
zu beantworten, wer zur Abschliessung völkerrechtlicher Verträge
verfassungsmässig berufen ist. Es ist jetzt allgemein anerkannt,
dass auf diese Frage nicht das Völkerrecht, sondern nur das Staats-
recht antworten kann.
Nach deutschem Reichsstaatsrecht ist der Kaiser allein ver-
tragsschliessendes Organ für das Reich. In der Regel schliesst er
Verträge rechtsgültig für sich allein ab, ohne der Zustimmung eines
anderen Faktors zu bedürfen. Aber es giebt auch eine Kategorie von
Verträgen, bei denen andere Organe mitzuwirken haben. Dahin ge-
hören nach Artikel 11 Absatz 3 alle Verträge mit fremden Staaten,
»welche sich auf solche Gegenstinde beziehen, welche nach Artikel 4
in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören« Die Bezug-
nahme auf Artikel 4 ist aber unzutreffend und unlogisch. Artikel 4
hat sich nicht zur Aufgabe gestellt, die Grenze zwischen Gesetz und
Verordnung, sondern zwischen der Zuständigkeit der Reichsgewalt
und der Staatsgewalt der Einzelstaaten abzustecken, washiergar nicht
in’Betracht kommt. Bei Ermangelung einer ausdrücklichen anwend-
baren Vorschrift der Reichsverfassung muss daher eine durchschla-
gende Unterscheidung in der juristischen Natur der Sache gefunden
werden. Dieselbe folgt aus einer richtigen Erfassung der konstitu-
tionellen Staatsordnung. Es liegt auf der Hand, dass jeder nur
irgend denkbare Inhalt des Staatswillens in die Form eines völker-
rechtlichen Vertrages gekleidet werden kann. Wäre nun der zur
völkerrechtlichen Vertragsschliessung legitimirte Staatsherrscher
befugt, alle Staatsverträge ohne Zustimmung der anderen bei der
Gesetzgebung betheiligten Organe rechtsgültig abzuschliessen, so
wäre er im Stande, alle konstitutionellen Rechte der übrigen Organe
wirkungslos zu machen, wenn er nur für die Verwirklichung seines
einseitigen Wollens die Form des völkerrechtlichen Vertrages wählte.
Daher haben die neuen Verfassungen einen Schutz in gewissen
Rechtssätzen gesucht, welche die Befugnisse der anderen Faktoren
gegen die etwa beabsichtigte Willkür des Staatsoberhauptes schützen
sollen. Als Vorbild der neueren Verfassungen erscheint Artikel 68
der belgischen Verfassung, welcher diejenigen Verträge: »qui pour-
raient grever l’etat ou lier individuellement des Belges;« der Zu-
stimmung der Kammern unterwirft. An diesen Artikel schliesst