Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

10. Die auswärtigen Angelegenheiten. 329 
zusteht, Gesetzesvorschläge im Bundesrathe zu machen, kann die 
Initiative zur Eingehung eines Staatsvertrages nur vom Kaiser aus- 
gehen, wenn auch eine mittelbare Anregung von Seiten der Einzel- 
staaten nicht ausgeschlossen ist. Die Verhandlungen, welche dem 
Vertragsabschlusse mit fremden Staaten vorausgehen, führt der 
Kaiser allein durch seine Bevollmächtigten; er braucht von dem 
Verlaufe derselben dem Bundesrathe keine Mittheilung zu machen, 
da gerade in diesem Stadium oft von der strengsten Geheimhaltung 
der günstige Erfolg der Verhandlungen abhängig sein kann. 
Völkerrechtliche Verträge sind nach der Ansicht aller neueren 
Völkerrechtsschriftsteller noch nicht perfekt durch die Unterzeich- 
nung der Bevollmächtigten, sondern werden es erst durch die Rati- 
fikation der Staatsoberhäupter und deren Auswechselung. Die 
Ratifikation ist der vollgültige völkerrechtliche Ver- 
tragsabschluss.! 
Bei allen völkerrechtlichen Verträgen, wo Bundesrath und 
Reichstag ihre Zustimmung zu ertheilen haben, ist es allein korrekt, 
wenn der betreffende Staatsvertrag vor der Ratifikation zur verfas- 
sungsmässigen Zustimmung dem Bundesrathe und dem Reichstage 
vorgelegt wird (dem Bundesrathe gegenüber ist es sogar ausdrück- 
liche Verfassungsvorschrift). Auch bei denjenigen Staatsverträgen, 
zu deren Gültigkeit die Zustimmung von Bundesrath und Reichstag 
erforderlich ist, sind diese nicht Mitkontrahenten; der einzige völ- 
kerrechtlich legitimirte Kontrahent ist auch hier der Kaiser, aber 
er bedarf der Zustimmung der beiden obengenannten Körperschaf- 
ten, als einer unerlässlichen Bedingung der Rechtsgültigkeit eines 
Vertrages. Sollte daher der Kaiser einen Vertrag dieser Art früher 
ratificirt haben, ehe er die nothwendige Zustimmung erlangt hat, 
1 Bulmorinogqa.a. O, 5. 303 sagtı »Zwar finden Vertragshandlungen nur 
statt, nachdem die dazu ermächtigten Personen sich von ihrer gegenseitigen Be- 
rechtigung zu derselben durch Austausch ihrer Vollmachten überzeugt haben, 
und wird der von ihnen vereinbarte Vertrag dureh sie aueh unterzeiehnet, in- 
dessen muss der Vollmachtgeber des souveränen Staates, in desaen Auftrag der 
Bevollmächtigte handelt, ausdrücklieh seine Zustimmung zum Inhalt des abge- 
schlossenen Vertrags geben und diese Kundgebung geschieht durch die Ratifi- 
kation. F.v.Martensa.a.O. 8. 397: »Zur Geltung der internationalen Ver- 
träge ist unbedingt die Bestätigung oder Ratifikation erforderlieh. Darunter 
vereteht man die formelle Aeceptation des vom Bevollmächtigten vereinbarten 
Vertrags dureh die souveräne Stantagewalt. Die Autoritäten des Völkerrechtes 
stimmen alle darin überein, dass die Ratifikation sur verbindliehen Kraft und 
Gültigkeit eines Traktates nothwendig seie. Dort sind aueh die vülkerreehtlichen 
Autoritäten aufgesählt. Vergl. Bulmerinogq in v. Holtzendorff’s Rechts- 
lex. B.III. 8. 255 e. v. Ratifikation.
	        
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