23 Das Reichestantsrecht.
verschlungen ist, so greifen auch Reichsbürgerrecht und Staats-
bürgerrecht der Einzelstaaten in einander über. In manchen Bezie-
hungen beherrscht das Reich seine Unterthanen unmittelbar und
ausschliesslich, in andern nimmt es nur die Gesetzgebung und Ober-
anfsicht in Anspruch und überlässt den Finzelstaaten die Ausfüh-
rung und Verwaltung, in andern Beziehungen gebührt den Einzel-
staaten nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Gesetzgebung.
Der scheinbar bedenkliche Keim zu Konflikten, welcher in diesem
Vnalismus des Bürgerrechts liegt, wird aber dadurch überwunden,
dnss das Reich in allen Beziehungen das endgültig entscheidende
Wort zu sprechen hat, indem jedes Reichsgesetz ausnahınslos jedem
Landesgesetz vorgeht, dau Reich die souveräne Staatsgewalt in
Deutschland ist. \
Das ältere deutsche Reich, als zusammengesetzter Staat, kannte
zwar grundsätzlich ein Reichsbürgerrecht. Dasselbe war aber durch
die Dazwischenschiebung der Territorialgewalten verkümmert und
unentwickelt geblieben. Der deutsche Bund, als ein völkerrecht-
licher Staatenverein, musste grundsätzlich ein Bürgerrecht vernei-
uen, daman nur Bürger oder Unterthan eines Staates, niemals einer
Staatenkonföderation sein kann. Der norddeutsche Bund, als ein
Bundesstaat, brachte mit Nothwendigkeit auch den Begriff eines
gemeinsamen Bürgerrechtes mit sich. Dasselbe war mit seiner
staatsrechtlichen Begründung von selbst gegeben.
Keineswegs darf es aber, wie Laband näher ausführt, in Artikel 3
der Reichsverfassung gefunden werden, welcher lautet: ! »Für ganz
Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung,
dass der Angehörige (Untertlian, Staatsbürger) eines jeden Bundes-
staates in jedem anderen Bundesstaute als Iulünder zu behandeln und
demgemäss zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu öffent-
lichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlan-
gung des Staatsbürgerrechtes undzuın Grenusse allersonstigen
bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Ein-
heimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des
! Insofern hatte auch Brau n-Wierbaden Recht, als er im verfansungsgeben-
den Reichstag (Stenogr. Ber. S. 131, sich über Artikel 3 folgendermaassen aue-
sprach: »])as ist kein deutschen Indigennt, dar ist eine Vergünstigung, wie man
sie durch völkerrechtliche Verträge mit fremden Staaten etahilirt, aber von einem
gemeinsamen Bürgerrecht ist es himmelweit verschieden.« Der Artikel aelbat ist
der Konstitution der Vereinigten Staaten nachgebildet A. IV sect, 2 $ 1: »The
eitizens of cach state shall be entitled to all privilegea and immunities of eitizens
in the several states.«